Wie viele Begriffe gibt es eigentlich für Vulva und Penis? Im Duden stehen 41 für Penis. Für Vulva lediglich 15. In einer eher Phallus-zentrierten Gesellschaft könnte man denken, dass der Penis im Vordergrund steht.
Flore de Crombrugghe und Rasa Weber setzen sich auf eine lehrreiche und unterhaltsame Weise gegen diese begrenzte Sammlung zur Wehr: Ihr liebevoll illustriertes Buch «333 saftige Papayas» bietet von Affenkinn bis Zungenbrecher eine Auswahl an provokanten, sinnlichen und non-binären Begriffen für unsere grossen und kleinen «dicken Dinger». 333 Begriffe findet man in dem Buch. Liebevoll und spielerisch illustriert.
Flore de Crombrugghe, geboren und aufgewachsen in Leuven (Belgien), ist Designerin und Illustratorin. Als Interaktionsdesignerin und UI/UX-Designerin nennt sie Zürich ihr Zuhause, ist aber regelmässig in Berlin, Brüssel und Vancouver anzutreffen.
Rasa Weber, geboren in Niedersachsen und aufgewachsen in Wien, ist Designerin, Taucherin und Autorin. Für ihre Forschung und Lehre ist sie zwischen Berlin und Zürich tätig. Ihre Arbeiten wurden zweimal mit dem Bundespreis Ecodesign ausgezeichnet und für den German Design Award nominiert.
Bild Hannes Wiedemann
DISPLAY: Wie seid ihr auf die Idee für das Buchprojekt gekommen?
Flore: Rasa hatte die Idee für das Buch und ist direkt zu mir gekommen. Ich habe natürlich sofort Ja gesagt.
Rasa: Im Sommer vor zwei Jahren habe ich auf einer Schweizer Alp ausgeholfen und hatte dort viel Zeit zum Nachdenken. Eine Freund*in hat mir vom Peaches-Konzert in Berlin getextet und meinte, wie krass es sei, dass Peaches so viele Worte für Pussy kennt. Und ich dachte: Das kann ich auch! Neben der körperlichen Arbeit habe ich einfach angefangen, Begriffe für das «weibliche» Genital zu suchen: Wonderpus, Vertikales Lächeln, Affenkinn… Ich habe gemerkt, dass das gut funktioniert und dachte dann weiter, wie das mit dem Penis ausschaut. Und was bedeutet das eigentlich, wenn man nicht-binär oder trans ist? Welche Begriffe kommen dann in Frage? Ich habe mir überlegt, welche anderen Begriffe wir jenseits binärer Denkmuster nutzen können: Triebwerk, Milchbar, Pfeifhase. Nach meiner Zeit auf der Alp kam ich also zurück mit einer langen Liste. Ich dachte, das wäre grossartiges Material für ein Buch, nur müsste man das anschaulich und unterhaltsam illustrieren. Und da habe ich an Flore gedacht mit ihren feministischen Illustrationen.
Flore: Schliesslich hatten wir so viele Begriffe und mussten rausstreichen; wir könnten ein zweites Buch machen.
Wie habt ihr recherchiert?
Rasa: Wenn man einmal mit dieser Brille durch die Welt guckt, kann man gar nicht mehr aufhören, auf solche Begriffe zu achten. Im Chat mit Flore haben wir über die letzten anderthalb Jahre einfach Wörter geteilt, zum Beispiel lustige Ortsnamen oder Begriffe, die in Gesprächen mit Freund*innen gefallen sind. Da steht dann im Chat «Höschenhamster» oder «Pellworm» und die andere Person weiss, worum es geht. Es sind aber auch nicht alle Begriffe nur lustig, spannend finde ich auch, diese historisch zu betrachten.
Habt ihr ein Beispiel?
Rasa: Ja, es gab zum Beispiel Anastasius Rosenstengel, heute würde man wohl sagen, eine trans-männliche Person, die im 18. Jahrhundert gelebt hat und sich männlich kleidete. Der Begriff Rosenstengel würde sich jetzt nicht jeder Person kontextlos erschliessen. Wenn man aber die Geschichte kennt, ist das doch eine spannende Herleitung. Rosenstengel hat es auch ins Buch geschafft. Im Buch gibt es alle möglichen Dimensionen. Von lustig, skurril bis hin zu ernsteren Themen wie Transfeindlichkeit und Endometriose.
Habt ihr mehr Begriffe für das eine oder das andere Genital gefunden?
Flore: Wir denken die Genitalien nicht mehr unbedingt in binären Kategorien. Klar, es gibt Vulva und Penis und alles dazwischen, aber das ist ja nicht zwangsläufig entweder männlich oder weiblich. Es geht uns auch darum, neue Denkanstösse zu liefern.
An wen richtet sich euer Werk?
Rasa: Man könnte sagen, es ist ein linguistisches Aufklärungsbuch für jede Generation, die bereits aufgeklärt ist. Wir machen Begriffe sichtbar, die in einem alltäglichen Diskurs vielleicht eher verdrängt werden.
Warum ist die Papaya so zentral?
Rasa: Die Papaya ist eigentlich eine intergeschlechtliche Frucht. Je nachdem, wie man die Papaya betrachtet, bietet sie viele Lesarten. Je nach Wuchs kann sie von aussen an einen Penis erinnern. Wenn man sie aufschneidet, sieht sie aus wie eine Vulva oder ein Uterus. Die Papaya wurde daher auch lange Zeit als einziges Übungsmaterial für Abtreibungen an der Charité verwendet. Und wenn man die Papaya der Breite nach aufschneidet, erinnert sie sogar an einen Anus. Sie ist ein Alleskönner!
Ihr erweitert mit eurem Buch den Geschlechter-Diskurs auf unverkrampfte Weise.
Flore: Generell gibt es online riesige Lücken bei der Darstellung von Genitalien, weil Inhalte im Netz super stark zensiert werden. Bei Suchmaschinen erhält man ein Ergebnis, wenn man nach «horny» oder «heiss» sucht. Das Problem tritt eher bei den neuen KI-Modellen für Sprach- und Bildgenerierung auf. Suchmaschinen zeigen entweder eine Reihe langweiliger, vorhersehbarer und humorloser Bilder oder eben Pornografie, wenn man gezielt danach sucht. Bei den KI-Tools gibt es hingegen oft gar kein Ergebnis. Das ist ein grosses Manko, da KI eine wichtige Rolle in der neuen Bildgenerierung spielt. Es ist motivierend und interessant, an einem Projekt zu arbeiten, das online bislang keine entsprechende Bildwelt hat. Wenn du «Vulva» googelst, hast du nur eine Übersicht an Zeichnungen, die eher uninteressant sind. Zum Beispiel plastische Darstellungen, meist eine weisse Frau, kleine Schamlippen und so weiter.
Ein sehr normiertes Bild.
Flore: Genau, entweder das oder dann Porno. Das gilt auch für den Penis.
Rasa: Es geht uns auch darum, neue Bildwelten zu kreieren, die Genitalien und Körper nicht nur im Rahmen normierter und binärer Schönheitsideale darstellen.
333 saftige Papayas
Ein unvollständiges Kompendium der dicken Dinger.
Ca. 360 Seiten, Klappenbroschur, zweifarbig gedruckt
Format: ca. 14 x 24 cm
ISBN: 978-3-7550-0042-6
März Verlag