Vom Spital direkt in eine Netflix-Produktion: Der offen schwule Arzt und Aktivist erzählt über seine Erfahrungen in Queer Eye Germany und hofft auf eine zweite Staffel.
«Queer Eye Germany ist ein Wohlfühlprogramm für alle», sagt Aljosha im Interview mit DISPLAY. Interviewer José Kress wollte genau wissen, wie er das meint.
DISPLAY: Aljosha, wie landet ein Arzt in Queer Eye Germany?
Aljosha: Ich entschied mich dazu, einen YouTube-Kanal aufzumachen, aus einem aktivistischen Impuls heraus. Es hat gut funktioniert und mir Öffentlichkeit gegeben. Das Thema Veganismus hat mein Bewusstsein geöffnet und mir gezeigt, dass viele andere Themen Schnittstellen haben: Stichwort Intersektionalität. Ich habe dann über andere Themen gesprochen, wie beispielsweise toxische Männlichkeit.
Und da wurde man auf dich aufmerksam?
Ja, die Verantwortlichen von Queer Eye Germany haben mich darauf angeschrieben — das ist schon zwei Jahre her. Danach begann ein Bewerbungsprozess mit Videos und Gesprächen — und plötzlich war Corona da. Nach einer Pause ging es schliesslich weiter und ich wurde in Queer Eye Germany aufgenommen. Anfangs wusste ich nicht, worum es geht, ausser, dass sie einen offen schwulen Mann für ein Spin-Off im Bereich Gesundheit suchten. Ich dachte mir: das hört sich nach Queer Eye an!
Wieso wurdest du ausgewählt?
Scheinbar habe ich gut in die Gruppendynamik gepasst. Die Tatsache, dass ich Arzt und sehr empathisch bin, spielte sicher eine grosse Rolle.
«In diesem queren Space wurde mir bewusst, wie viel Heteronormativität in mir steckt»
Was war das Schlimmste an den Dreharbeiten?
Diese Ungewissheit, ob es weiter geht: das war für mich das Schlimmste. Die Dreharbeiten machten mir grossen Spass und es war eine intensive Erfahrung — ich hoffe auf eine zweite Staffel!
Und was war das Beste?
Das Schönste war die Reise, die ich gemacht habe. Ich war noch nie in einem so queeren Space. Dabei wurde mir bewusst, wie viel Heteronormativität in mir steckt.
Heteronormativität? Kannst du das mit einem Beispiel erläutern?
Während der Dreharbeiten musste ich einmal High Heels tragen: Dazu musste ich mich richtiggehend überwinden. Das zu identifizieren machte mich traurig und löste einen Denkprozess in mir aus. Internalisierte Homophobie oder Homophobie sind wirklich verrückt. Für die Sendung hatte ich teilweise geschminkte Augen oder bemalte Fingernägel. Während der Dreharbeiten nahm ich das gar nicht mehr wahr, aber im Zug, zurück in der realen Welt — dort waren bemalte Fingernägel plötzlich ein Statement.
Das deutsche «Queer Eye»-Team von links: Jan-Henrik Scheper-Stuke, David Jakobs, Ayan Yuruk, Leni Bolt und Aljosha Muttardi.
Wie ist deine Beziehung zu den anderen vier im Team?
Ich bin dankbar, dass wir uns so gut verstehen. Schon als wir uns das erste Mal trafen, verstanden wir uns. Wir versprachen uns, dass wir für einander da sind. Ich fühlte und fühle mich safe mit ihnen — als wären sie meine chosen Family.
«Ich verliebe mich nicht in Menschen, die perfekt sind»
Du scheinst ein sehr ehrlicher Mensch zu sein. Zeigst du gerne Verletzlichkeit?
Ich glaube, Verletzlichkeit verbindet, deshalb fällt es mir momentan nicht schwer, Verletzlichkeit zu zeigen. Es kommt sicher auch aus einer privilegierten Perspektive. Aber ich möchte anderen das Gefühl geben, dass auch jemand, der in der Öffentlichkeit steht, Probleme hat. Und wie RuPaul sagt: Verletzlichkeit verbindet uns mit anderen — ich verliebe mich nicht in Menschen, die perfekt sind.
Braucht die Welt überhaupt Queer Eye Germany?
Die queere Welt braucht Queer Eye Germany. Ein Ziel des Formats ist es, Sichtbarkeit zu schaffen — damit die queere Welt gesehen wird. Ich selbst hatte in der Vergangenheit Probleme, mit meiner Sexualität umzugehen: Queer Eye Germany kann Menschen helfen, ihre Sexualität zu akzeptieren — durch Sichtbarkeit. Aber auch Heteros können Normen sprengen. Wir brechen ganz offen mit Heteronormativität — Queer Eye Germany ist ein Wohlfühlprogramm für alle.
Gibt es eine Episode, die dich speziell berührt hat?
Ja, es ging um eine 18-jährige Heldin, die sehr viel durchgemacht hat. Wir haben alle den Hut vor ihr gezogen, weil uns ihr Schicksal so stark berührt hat. Aber grundsätzlich war Queer Eye Germany eine sehr emotionale Reise für uns alle.
Queer Eye Germany gibt’s ab dem 9. März auf Netflix.
Interview José Kress, Aufmacherbild Sophia Emmerich