Bin ich ein Hypochonder?

«Eingebildete» Krankheiten können genauso belastend sein wie «reale». Psychologe Tim Wiesendanger über den Umgang mit der Angst.

Hallo Tim
Seit jeher habe ich grosse Angst, mich mit etwas anzustecken, krank zu werden und daran zu sterben. Immer wieder sagt man mir, ich sei ein Hypochonder. Sind denn meine Beschwerden tatsächlich nur eingebildet? Dabei haben doch gerade wir schwulen Männer allen Grund zur Sorge, wenn ich an Risiken wie Aids denke. Enzo (24)

Hallo Enzo
Du hast insofern Recht, dass Männer, die Sex mit Männern haben, ein erhöhtes statistisches Risiko tragen, sich mit HIV, Syphilis oder Tripper anzustecken. Vorsicht walten zu lassen, indem man die Safer Sex-Regeln befolgt, ist daher auf alle Fälle angesagt. Allerdings gilt dies für alle, die wechselnde Geschlechtspartner oder Sex mit jemandem haben, von dem sie nicht mit Sicherheit wissen, dass er negativ ist.

ANGST VOR HIV · Doch du schreibst, dass du schon immer grosse Angst vor Ansteckung hattest, demnach schon als Kind und daher auch nicht bloss vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Du leidest ganz offensichtlich ganz generell an überhöhter Sorge, krank oder gar todkrank zu werden.

Gerade schwule Männer, die von Hypochondrie betroffen sind, projizieren diese bevorzugt auf HIV & Co. Hinzu kommen oft subjektiv empfundene körperliche Beschwerden, die keine objektive Basis haben. Von Überängstlichkeit Betroffene haben dazu oft den festen Glauben, demnächst diese oder jene Krankheit zu bekommen.

«ERERBTE» FURCHT · Dem Phänomen Hypochondrie nachzugehen, lohnt sich auf alle Fälle, denn diese weit überhöhte Ängstlichkeit verbraucht unnötigerweise sehr viel Zeit und Energie. Genauer gesagt ist sie selber eine Krankheit, die es sinnvollerweise zu behandeln gilt. Doch bevor man sie behandeln kann, muss man ihr Wesen verstehen.

«Diese weit überhöhte Ängstlichkeit verbraucht unnötigerweise sehr viel Zeit und Energie»

Hypochondrisch veranlagte Menschen wurden meist durch ihr Elternhaus geprägt. Entweder war dort tatsächlich jemand oft krank oder ist früh an Krankheit gestorben. Doch viel wahrscheinlicher ist es, dass Hypochondrie bereits in ihrem familiären Umfeld zu beobachten war, ohne dass eine ernsthafte Krankheit vorlag. So «vererbt» sich Hypochondrie, allerdings nicht im genetischen, sondern im psychischen Sinne.

Daher ist auch der Ansatz zur Behandlung ein psychotherapeutischer. Dieser stellt für Betroffene eine grosse Herausforderung dar, sind sie doch davon überzeugt, dass sie körperlich leiden oder demnächst eine schwere Krankheit auf sie zukommt. Manchmal kann man Hypochondrie nicht ganz ablegen, häufig hingegen wesentlich besser damit umzugehen lernen. Wenn man weiss, woher sie stammt, kann man effektive Strategien entwickeln, seiner Überängstlichkeit die Stirn zu bieten und damit wesentlich mehr Lebensqualität zu erlangen.

Tim-K-Wiesendanger

 

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Bild oben: Peter Atkins