Langfristige Ziele? Braucht kein Mensch. Warum wir uns immer häufiger für die unmittelbare Belohnung (Instant Gratification) entscheiden und uns so unser Leben verbauen.
Text Frank Richter
Meine deutsche Grossmutter liebte Sprichwörter. Besonders eines kam häufig zum Einsatz: Gut Ding will Weile haben. Sprich, bei manchen Dingen braucht es Geduld, bis sie gut sind. Das sagte sie, als ich zum ersten Mal ohne Stützräder Fahrrad fuhr und meine Stirn Bekanntschaft mit einem Baum machte. Oder als ich jammerte, warum meine Zähne auch nach vier Jahren Spange tragen noch immer schief waren. Bestimmt war es auch ihre Antwort auf die Frage meiner Mutter, wann das mit dem Bettnässen endlich aufhört.
Aber meine Oma hatte gut reden. Zu ihrer Zeit gab es kein Online-Shopping, keine Dating-Apps und kein Fast Food. Wer etwas wollte, musste warten. Und bekam es am Ende vielleicht doch nicht. Das war zwar unschön, lehrte aber eine ganze Generation, mit Enttäuschung umzugehen. Eine Fähigkeit, um die ich sie mittlerweile beneide. Denn ich will alles jetzt und sofort. Erfolg, Likes und Geld. Langfristige Bedürfnisbefriedigung fällt mir unglaublich schwer. Dabei weiss ich, dass sie mich glücklicher machen würde. Aber wer hat schon Zeit zum Warten?
Ein Marshmallow oder zwei?
Mitte der 1960er-Jahre führte ein Professor an der Stanford University den sogenannten Marshmallow-Test durch. Ein Kind bekam ein Marshmallow und wurde alleine gelassen. Wenn es 15 Minuten wartete und das Marshmallow nicht ass, bekam es ein zweites. Kinder, welche die Belohnung aufschieben konnten, zeigten die Tendenz, später im Leben erfolgreicher zu sein. Der Test wurde zwar kritisiert, weil er den familiären Hintergrund der Kinder ausklammerte und nicht sehr divers war. Unbestritten ist jedoch: Wer Belohnungen verzögern kann, kommt langfristig weiter.
Praktisch alles, was zur sofortigen Befriedigung unserer Bedürfnisse führt, ist langfristig schlecht für uns. Alkohol, Junkfood, Zigaretten, Shopping-Orgien, rasche Partnerwechsel, Kleinkredite und natürlich Marshmallows. Wenn wir immer das bekommen, was wir wollen, sobald wir es wollen, verlieren wir das Verständnis für die Notwendigkeit von Geduld und Durchhaltevermögen. Laufen die Dinge nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben, sind wir frustriert und unerfüllt.
Mach es wie Comedians
Comedy kann vieles sein. Witzig, aufklärend oder gar provokativ. Was Comedy im Entstehungsprozess jedoch nicht ist: Einfach sowie kurzfristig befriedigend. Acht von zehn geschriebenen Witzen funktionieren nicht. Man produziert extrem viel Ausschuss, muss die Gags vor Publikum testen, umschreiben, neu in Szene setzen, auswendig lernen. Kein Wunder, bringen die meisten Comedians nur alle drei Jahre ein neues Programm raus. Der Aufwand ist immens. Man scheitert viel und vor allem in der Öffentlichkeit. Aber Comedy hat mich zumindest etwas gelehrt: mir langfristige Ziele zu setzen.
Wer sein Ziel klar, spezifisch und messbar definiert und sich vorstellt, wie es sein wird, das Ziel zu erreichen, bleibt eher dran. Wird das grosse Projekt in kleinere Etappenziele verwandelt, die jeweils mit einer Belohnung verbunden sind, macht der Fortschritt sogar Spass. Wer ausserdem im Hinterkopf behält, dass Scheitern Teil des Weges ist, lernt aus seinen Fehlern und macht weiter. Versuch mal eine Woche allen kurzfristigen Befriedigungen aus dem Weg zu gehen und zieh danach ein Resümee, wie sich das angefühlt hat. Allenfalls sogar besser als das zweite Marshmallow.