Neues Jahr, neuer Veganuary. Zum dritten Mal habe ich mich 31 Tage lang rein pflanzlich ernährt. Aber ich habe die Schnauze gestrichen voll. Denn in einem Punkt ist der Veganuary tierisch anstrengend.
Von Frank Richter
Die gute Nachricht zuerst. Shoppingtechnisch wird der Veganuary von Jahr zu Jahr einfacher. Direkt nach Weihnachten schmeissen die Discounter ihre Veganprodukte ins Kühlregal, als wären sämtliche Kühe tot. Neu werden pflanzliche Produkte mit einem Veganuary-Fähnchen gekennzeichnet, was das Einkaufen erleichtert. Runtergesetzt sind die Lebensmittel oft noch dazu.
Während ein Mitarbeiter die nicht verkauften Fondue Chinoise-Fleischplatten von Weihnachten entsorgt, fülle ich meinen Einkaufswagen mit veganem Lachs, veganem Schinken und veganer Entenbrust. Jedes Jahr kommen neue Produkte dazu. Dieses Jahr teste ich zum ersten Mal Babybel-Käse aus Kokosöl. Er schmeckt extrem beschissen, sprich, genau wie das Original. Alles könnte so einfach sein, denke ich, während ich mein Wägeli durch die Gemüseabteilung schiebe. Wären da nicht … meine Freunde.
«Richtiges Fleisch schmeckt besser!»
«Ach, machst du wieder den Veganquatsch im Januar? Ne, dann lass uns doch lieber im Februar mal abmachen», heisst es am Telefon mit einem Kollegen. Auf meinen Hinweis, dass auch gerne er zu mir zum Essen kommen könne, meint er schnippisch: «Klar, aber erst, wenn du wieder normal isst.» Andere schlagen vor, ich könne ja mein eigenes Essen mitbringen. Meine Mutter schiesst den Vogel komplett ab, indem sie einen Lachstoast hinstellt, den sie kommentiert mit: «Ich dachte, Fisch sei ok?! Mein Gott, ist das alles kompliziert mit dir.»
«Das Schwierigste im Veganuary ist nicht der Verzicht, sondern die permanente Rechtfertigung»
Als Notlösung biete ich ihr an, in ihrer Küche ein «Chili sin carne» zu kochen. «Kannst du gerne machen, aber wir dürfen Roman nicht verraten, dass das kein richtiges Fleisch ist, sonst isst er es nicht», antwortet meine Mutter. Roman ist ihr Freund. Und tatsächlich, er kaut skeptisch auf dem Eintopf rum und kommentiert das Gericht mit: «Das ist dieses komische Soja-Hack, oder? Deine Mutter hat letzte Woche auch Chili con carne gemacht, aber mit richtigem Fleisch. Das hat besser geschmeckt.» Ich kann ihm seine Aussage nicht verübeln, der Mann kennt sich aus mit Fleisch. Lustig wird es, als meine Mutter ihn korrigiert mit: «Nee, das war auch kein richtiges Hack, da habe ich auch geschummelt.»
Permanente Rechtfertigung
Irgendwie spricht alles für die vegane Ernährung. Ich nehme ab, meine Haut ist schöner, die Energietiefs nach dem Essen sind weg, es ist besser für den Planeten und die Tierwelt, man isst vielfältiger und, und, und. Aber das soziale Stigma, mein lieber Scholli. Das fängt schon damit an, dass man sich permanent erklären muss. «Haben Sie Hafermilch?», höre ich mich stammeln in einem Café im Appenzell – «Es gibt Milch aus Hafer?», erwidert die Bedienung mit einem skeptischen Blick. «Warum würde man das trinken wollen?» -«Ich mache gerade den Veganuary.» «Was machen Sie?»
Der alte Witz «Woran erkennt man einen Veganer? – Er sagt es dir» trifft vollends zu. 31 Tage lang erkläre und entschuldige ich mich, werde zu diesem mühsamen Gast mit den Sonderwünschen und lese argwöhnisch die Zutatenliste von allem, was mir vor die Nase gestellt wird. Das Schwierigste im Veganuary ist nicht der Verzicht, sondern die permanente Rechtfertigung.
Meine Hochachtung geht an alle Veganerinnen und Veganer, die das schon seit Jahren stoisch durchziehen. Ich bin noch nicht so weit, aber ihr macht das grossartig. In eurem Spirit werde ich diesen Monat mindestens ein veganes Gericht auftischen. Also nicht mir selbst, sondern Roman, dem Freund meiner Mutter. Sein Gesichtsausdruck, wenn er herausfindet, dass er gerade Soja-Hack gegessen hat, macht alles wett.
Am Pink Apple Filmfestival wird der Schweizer Filmproduzent und Drehbuchautor Ivan Madeo mit dem Golden Apple ausgezeichnet. Der 48-Jährige, der mit seinem Partner in Zürich lebt, spricht über Auszeichnungen, sein einst schockierendes und gleichzeitig gefühlsexplosives Coming-out und über seine queeren Lieblingsfilme.
Text Mark Baer Bild Ilja Tschanen
Geboren ist Ivan Madeo in Bern, als Sohn von eingewanderten Eltern. Sein Nachname stammt aus einem kleinen Dorf in Kalabrien. «Ich bin ein klassischer Secondo», sagt er im DISPLAY-Interview. In seiner Kindheit und Jugend habe er lange lernen müssen, damit umzugehen, dass er weder richtig Schweizer noch richtig Italiener war. «Mit doppelten und doch keinen richtigen Wurzeln habe ich meinen eigenen Weg gesucht und bin ein Wanderer geworden.»
Ivan bezeichnet sich als ein «Verfechter einer Welt ohne Grenzen»: ein Verfechter eines Denkens, das weniger das Trennende und mehr das Verbindende und Gemeinsame sucht. «Rückblickend denke ich, dass diese Ausgangslage mich bis heute stark geprägt hat.»
Gross geworden ist Ivan mit einem jüngeren Bruder, der ganz jung für seine Fussballkarriere alleine nach Italien gereist ist und heute mit seiner Familie wieder in der Schweiz, nahe bei Basel, lebt.
Ivan Madeo selber hat seinen Lebensmittelpunkt in Zürich gefunden, zusammen mit seinem Partner. «Da bin ich wenige Jahre nach meinem Studium schon hingezogen.» Aber da seine Eltern eine Zeit lang noch in Bern weitergelebt haben und eine seiner Produktionsfirmen noch heute in Bern angesiedelt ist, habe er immer noch eine enge Verbindung zu seiner Heimat.
Was er für ein Mensch ist, wollen wir vom selbständigen Filmproduzenten wissen. Hier winkt er ab. Das sei etwas, das man seine Freunde fragen müsse, meint er bescheiden.
Ivans Filme
2011 hat Ivan Madeo die Produktionsfirma Contrast Film gegründet, die er heute zusammen mit Anke Beining als Geschäftsführer leitet. Der 1976 Geborene ist Mitglied der Schweizer Filmakademie, der European Film Academy sowie der Eidgenössischen Filmkommission. Weiter ist Ivan Madeo Geschäftsführer von Swiss Studios. Die wichtigsten seiner Filme und Serien:
Der Kreis (2014), Dokufiction über eine legendäre schwule Geheim-Vereinigung in Zürich und das Leben von Röbi Rapp und Ernst Ostertag.
Stürm: Bis wir tot sind oder frei (2020), Spielfilm über das Leben des Ausbrecherkönigs Walter Stürm, mit Joel Basman.
Stella. Ein Leben (2023), Film über das kontroverse Leben von Stella Goldschlag.
Davos 1917 (2023), spannende Serie über Geheimdienst-Intrigen in der Zeit des Ersten Weltkriegs.
Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag (2023), Spielfilm
Stray Bodies (2024), Dokumentarfilm.
Landesverräter (2024), Spielfilm über Ernst Schrämmli, der im Zweiten Weltkrieg hingerichtet wurde.
Game Over – Der Fall der Credit Suisse (2025), Dokudrama.
Gefühlschaos beim Coming-out
Gemerkt, dass er schwul ist, habe er vermutlich schon als Kind. «Richtig verstanden habe ich das aber erst mit 19 Jahren, als ich längere Zeit selbständig in New York gelebt habe und dort den richtigen Rahmen hatte, um mich mit meiner wahren Identität auseinanderzusetzen und zu mir selbst zu finden.» Sein Coming-out bezeichnet Ivan als Schock und gleichzeitige Gefühlsexplosion.
Sich als junger Erwachsener erstmals richtig selbst anzuerkennen und seine Queerness gleichzeitig mit dem ganzen Freundeskreis, der Familie und der Restwelt zu teilen, bezeichnet er als «total überfordernd» und lacht dabei. «Irgendwie ist es aber auch schön zu sehen, dass man im Leben Phasen hatte, in denen man völlig aus dem Häuschen war, und man diese irgendwie ganz gut überstanden hat.» Das gebe einem eine innere Stärke und ein anhaltendes Urvertrauen.
Im Ausgang sieht man Ivan Madeo eigentlich selten, da er fast immer auf Achse ist. Wenn er nicht beruflich an Filmfestivals, auf Dreharbeiten, an Preisverleihungen, Filmmärkten und Workshops unterwegs ist, dann verbringt er die wenige Restzeit fast immer mit Freunden oder der Familie, «weil ich sie viel weniger oft sehe, als ich das möchte». Diese Treffen finden dann meistens in Restaurants und Bars statt, weil er sehr gern gut esse und trinke.
Zum Abschalten und Runterfahren geht er am liebsten in Galerien und Museen, was er im Übrigen auch ganz gut alleine bewerkstelligen könne. «Das mit den Ausstellungen hört sich jetzt wahnsinnig bieder an, wenn ich mir das so überlege», sagt der baldige Golden-Apple-Preisträger lachend. «In Wahrheit sind es Ausbrüche aus dem Alltag, in denen ich mich neu sammeln kann.»
Kreativer Schaffer mit grossem Netzwerk
In der Laudatio zur mit 3000 Franken dotierten Pink-Apple-Auszeichnung heisst es, dass Ivan sehr kreativ und auch ein guter Netzwerker ist. «Kreativ?», fragt er nach. «Ich bin immer neugierig, unkonventionell und forsch im Denken gewesen, das glaube ich schon.» Und Träume und Visionen hätten ihn in seinem privaten Handeln und beruflichen Schaffensdrang immer angetrieben. «Deshalb habe ich mich in der sogenannten Kreativbranche auch immer wohl gefühlt.»
Wir wollen vom Produzenten des Films «Der Kreis» auch wissen, wie wichtig für ihn sein Netzwerk ist und was für Menschen dieses Netzwerk umfasst. «Dabei handelt es sich um ein wunderbar diverses Netz von charakterlich, beruflich, ideologisch und gesundheitlich sehr unterschiedlichen Menschen.» Und ja, aus «diesem Füllhorn von Leuten mit ihren eigenen Lebensgeschichten, Talenten, Ambitionen» jene zusammenzubringen, die für ein Projekt am besten zusammenpassen und bei denen das Ganze mehr wird als die Summe seiner Einzelteile – das mache er in der Tat äusserst gerne.
Die Suche nach dem Kontrast
Schon im Gymnasium wusste Ivan, dass ihn Geschichten auf dem grossen und kleinen Screen besonders interessieren. Deshalb wollte er neben seinem Studium in Klinischer Psychologie auch im Bereich Film und Fernsehen studieren. «Da habe ich meine ersten filmischen Gehversuche gemacht.»
Nach dem Studium musste er Geld verdienen, weshalb er in die Werbung gegangen ist. Dort hat er mehr als zehn Jahre in internationalen Netzwerkagenturen, von Publicis und Havas in Zürich über McCann Erickson Milano bis hin zu FCB Global in Hamburg gearbeitet. Weil er dort seine Leidenschaft für den Film nur bedingt ausleben konnte, hat er seine eigene Filmproduktionsgesellschaft gegründet. «Das war der Moment, als mein Freund Urs Frey, der damals ebenfalls in der Werbung tätig war, und ich als Kontrast zu unserem früheren Leben unsere eigene Filmproduktion ‘Contrast Film’ gegründet haben.»
Contrast Film ist heute ein achtköpfiges Team, das Spielfilme, Dokumentarfilme, Serien und Entertainment-Formate produziert. Das Unternehmen gehört damit zu den grössten Produktionsfirmen in der Schweiz. «Wichtiger als die Grösse ist mir aber die Stabilität und Qualität unseres Outputs», betont der Wahlzürcher.
Eine wichtige queere Stimme
«Vielfältiger Output an Serien und Filmen»
Das queere Schweizer Filmfestival Pink Apple ehrt jedes Jahr eine Persönlichkeit, die sich in der LGBTIQ-Filmwelt verdient gemacht hat. «Ivan hat gerade in den letzten drei Jahren einen enorm vielfältigen und breiten Output an Serien und Filmen vorzuweisen, viele seiner Filme haben queere Figuren oder basieren auf queeren Geschichten», sagt Andreas Bühlmann. Daher bezeichnet der künstlerische Ko-Leiter des Pink Apple den diesjährigen Preisträger gewissermassen auch als Glücksfall, weil Ivan Madeo sowohl queerfeministische, lesbische wie auch schwule Inhalte für die Leinwand produziert. «Mit ihm als Schweizer Schwergewicht in der Filmbranche konnten wir zudem auch einen lokalen Bezug zum Standort Zürich herstellen, von wo aus Ivan heute ja tätig ist.»
Der Film «Der Kreis» ist Andreas Bühlmanns persönlicher Favorit. «Damit hat Ivan einen schwulen Schweizer Filmklassiker geschaffen, der sowohl den Publikumspreis der Berlinale als auch den Teddy Award im Jahr 2014 gewann.» Ivans Film diene nicht nur als wichtige Quelle für die Schweizer Schwulengeschichte, sondern habe auch neue Massstäbe in der historischen Aufarbeitung queerer Inhalte im Schweizer Film gesetzt.
Auch persönlich ist der künstlerische Co-Leiter des Pink-Apple-Festivals vom Filmschaffenden angetan: «Ivan ist ein sehr herzlicher Mensch, der mit seinen Regiepersonen respektvoll umgeht und sie in ihrem kreativen Prozess begleitet.» Diese Menschlichkeit sei in all den von ihm produzierten Filmen spürbar. Er kreiere Werke und Serien, die gesellschaftsrelevante Themen aufgreifen und zum Denken anregen würden. Gleichzeitig spüre man seine vorhergehende Tätigkeit als Werbetexter in all seinen Arbeiten und der Promotion seiner Filme. «Er verbindet daher geschickt das Künstlerische mit der marketingrelevanten Perspektive», bringt Andreas Bühlmann die Qualitäten des Ausgezeichneten auf den Punkt.
Den Golden Apple zu erhalten sei eine Ehre
Als «unerwartet schön» bezeichnet Ivan Madeo die Auszeichnung, die ihm Anfang Mai in Zürich verliehen wird. «Wenn ich denke, dass die wunderbare Christine Vachon, Léa Pool oder Lionel Baier diese Auszeichnung vor mir erhalten haben, bekunde ich schon etwas Mühe, das mit mir in Verbindung zu bringen», so sein bescheidenes Statement dazu.
Viele queere Filme von Kolleginnen und Kollegen haben sich auch in sein Herz gespielt, wie beispielsweise der Schweizer Film «F. est un salaud» oder der weltbekannte «Brokeback Mountain». Auch der herzzerreissende «All of us Strangers» oder die Serie «Young Royals» gehören zu seinen Favoriten.
Ivan träume wirklich gerne, aber nicht von Auszeichnungen. Insofern auch nicht von einem Oscar, der ihm irgendwann einmal verliehen werden könnte. «Aber wenn ein Oscar einmal kommen sollte, würde ich ihn sehr gerne nehmen und mich daran genauso erfreuen und ihn genauso schnell wieder vergessen, wie das bei allen anderen nationalen und internationalen Filmpreisen bis dato der Fall war.» Auszeichnungen seien für ihn nämlich keine Ziele. «Ich sehe sie lieber als Startlinie für das nächste, noch mutigere Projekt.»
Weiterhin wird der Schweizer Filmprofi auch LGBTIQ-Projekte realisieren. So würden bei ihm bereits jetzt weitere Stories auf dem Tisch liegen: «Selbstverständlich! Und noch viele mehr in meinem Herzen, von denen ich noch gar nichts weiss.» Denn queere Themen seien für ihn nicht wichtig, sie seien für ihn selbstverständlich.
Am Donnerstag, 1. Mai, 18 Uhr nimmt Ivan Madeo im Filmpodium Zürich den Golden Apple 2025 entgegen.
Am Freitag, 2. Mai, 18 Uhr findet im Film- podium Zürich ein Werkstattgespräch mit Ivan Madeo statt.
Das Pink Apple zeigt insgesamt sechs von Ivan Madeo produzierte Langfilme.
Pink Apple Edition 28
Das queere Filmfestival startet dieses Jahr am 29. April in Zürich und dauert bis am 8. Mai. Danach schlägt Pink Apple seine Zelte in Frauenfeld auf und zwar vom 9. bis 11. Mai.
Das Festival wird zum ersten Mal im Kino Riffraff stattfinden, nah am neuen Festivalzentrum an der Zollstrasse.
Die beiden Grossveranstaltungen des Pink Apple, die Opening und Closing Night, werden weiterhin im Kino Le Paris stattfinden. Neu arbeitet das queere Filmfestival auch mit der Heldenbar als Party-Location zusammen.
Ein Schwerpunktthema wird «Sex Work» mit der Ausstellung «With Legs wide open» im Feministischen Streikhaus.
Männliche Sexarbeit ist das Thema einer Diskussionsrunde im Theater anundpfirsich am 7. Mai, 19 Uhr.
Weitere Themen: Fankultur im Frauenfussball Nonbinarität The Power of Communities Queere Menschen auf der Flucht Die Queerness des ESC.