Die Serie «Becoming Karl Lagerfeld» über den schwulen Mode-Zar bietet beste Unterhaltung nach Mass.
Von Dieter Osswald
Die Erwartungen an die Bio über die deutsche Mode-Ikone sind gross. Wie üblich greifen Filmstudios dann gerne zu Sperrfristen, um den Hype noch zu steigern. So auch Disney, verbunden mit der «höflichen Bitte», nicht zu viel über die amourösen Abenteuer des exzentrischen Couturiers zu verraten.
Ein paar Appetizer dürfen es freilich schon sein, schliesslich bietet diese schwule Lovestory ein Feuerwerk unterhaltsamer Ideen sowie Komik und geschliffene Dialoge obendrein. Ein filmischer Massanzug für König Karl!
Ein verführerisches Raubtier
«I can‘t get no satisfaction!» tönt es, gleichsam programmatisch, zur Ouvertüre. Ein Rolls Royce rollt durchs Bild. Für wenige Sekunden huscht, kaum erkennt man ihn, ein mondän gekleideter Typ durch die Glitzerwelt einer Disco.
Ein hübscher Jüngling beobachtet fasziniert die Szene. Er wird sich fortan an die Fersen des damals noch kaum bekannten Modedesigners heften. Denn Jacques de Bascher (Théodore Pellerin) – so heisst der Schönling – hat ein exzellentes Gespür für Menschen mit Promi-Potenzial. Und er weiss genau, wie er an sein Ziel kommt. «Die Welt ist grau. Die Menschen sind grau. Doch Sie sind in Farbe!» schreibt er einen ersten Liebesbrief. Karl ist prompt beeindruckt. Doch Mama Lagerfeld warnt: «Das ist ein Raubtier und du hast keine Peitsche, mein Lieber», mahnt Madame, die mit dem 38-jährigen Sohn die luxuriöse Wohnung teilt.
Rivalität mit Yves Saint Laurent
Das attraktive Raubtier darf Karl alsbald zur glamourösen Party von Yves Saint Laurent (Arnaud Valois) begleiten. Sein Ex-Lover und Design-Konkurrent soll eifersüchtig auf den neuen Begleiter werden. Der Coup von Karl gelingt. Doch der König hat die Rechnung ohne den selbstbewussten jungen Dandy gemacht. Denn der junge Mann versteht es aufs Beste, den heftig verknallten Yves von sich zu begeistern und dessen masochistische Leidenschaften für sich zu nutzen.

Die Diva Marlene Dietrich
Für Karl bahnt sich derweil ein ungeahnter Karrieresprung an. Marlene Dietrich (grandios gespielt von Sunnyi Melles) höchstpersönlich ruft ihn an und lädt zum Tee. «Haben Sie Stil?» will die Diva wissen und gibt ein Kostüm in Auftrag. Klar, dass der Designer diese grossartige Chance nutzen will. «Vogue» wird den neuen Kleidern der Dietrich eine ganze Ausgabe widmen, Helmut Newton ist als Fotograf engagiert. Gefeiert werden soll der Coup samt dem 40. Geburtstag in Lagerfelds Lieblingsladen. Doch überraschende Ereignisse sorgen für eine dramatische Entwicklung.
Dramaturgisch bietet diese sechsteilige Serie eine emotionale Achterbahn vom Feinsten. Die Figurenzeichnung fällt famos aus. Das Ensemble erweist sich als erstklassige Besetzung. Allen voran Daniel Brühl, der einmal mehr mit charismatischem Charme beweist, dass er zu den besten Darstellern seiner Generation gehört. Er verleiht dem tragischen Schneiderlein eine Grandezza, die Lagerfeld sicher gefallen hätte. Ein überaus unterhaltsamer Sechsteiler, wie massgeschneidert fürs Binge-Watching, am besten mit Prosecco.
• Die neue Serie «Becoming Karl Lagerfeld» mit Daniel Brühl in der Hauptrolle läuft ab dem 7. Juni exklusiv auf Disney+
Der Andy Warhol der Mode
Filmstar Daniel Brühl glänzt als Modezar Karl Lagerfeld.
«Man hat die Kontrolle über sein Leben verloren und dann geht man eben in Jogginghosen auf die Strasse» – mit Sprüchen wie diesen machte der wortgewandte Karl Lagerfeld genauso Furore wie als kreativer Modezar.
Am 19. Februar 2019 starb der Chanel-Designer im Alter von 85 Jahren in seiner geliebten Wahlheimat Paris. Höchste Zeit, der smarten Diva eine Biographie zu widmen. Als Vorlage dieser sechsteiligen Disney+-Serie «Becoming Karl Lagerfeld» gilt der Bestseller-Roman «Kaiser Karl» von Raphaëlle Bacqué.
Von Kreuzpaintner bis zu Tarantino
Die Titelrolle übernimmt Daniel Brühl, einer der besten Schauspieler seiner Generation – und einer der nettesten obendrein! Vor 45 Jahren als Sohn eines deutschen Regisseurs und einer spanischen Lehrerin in Barcelona geboren, wächst er in Köln auf. Als Knirps spricht Daniel César Martín Brühl González, so sein vollständiger Name, erste Hörspiele. Als Teenager ist er in der Daily Soap «Verbotene Liebe» zu erleben. Pünktlich zur Jahrtausendwende beginnt mit der Teenie-Komödie «Schule» die kometenhafte Kino-Karriere. Unter den mehr als 60 Filmen des Schauspielers finden sich moderne Klassiker wie das DDR-Drama «Good Bye, Lenin!», die Gesellschaftssatire «Die fetten Jahre sind vorbei» oder das Jugenddrama «Krabat» des schwulen Regisseurs Marco Kreuzpaintner.
International ist Brühl gleichfalls gefragt. Ob in Tarantinos «Inglourious Basterds» an der Seite von Brad Pitt. Ob in «Der Duft von Lavendel» mit Judy Dench, der ihm einen Premieren-Handschlag mit der britischen Queen beschert. Oder in «Rush», wo er für Ron Howard den Rennfahrer Niki Lauda verkörpert.
Daniel Brühl als perfekte Besetzung
Nach der Sportlegende folgt mit dem Modezar nun die nächste Bio-Rolle. Der Inhalt: «Es ist 1972. Karl Lagerfeld ist 38 Jahre, trägt noch nicht seine ikonische Frisur und ist ein wenig bekannter Modedesigner für ‚Prêt-à-porter‘. Nachdem er den temperamentvollen Jacques de Bascher, einen ehrgeizigen und stürmischen jungen Dandy, kennenlernt und sich in ihn verliebt, wagt es der geheimnisvollste aller Modeschöpfer, sich mit seinem Freund und Rivalen Yves Saint Laurent anzulegen. Saint Laurent ist ein Genie der Haute Couture, der vom gefürchteten Geschäftsmann
Pierre Bergé (Alex Lutz) unterstützt wird.»

Wer steckte hinter Karl Lagerfelds Maske?
Bei der Präsentation auf dem Fernsehfestival in Cannes plauderte Daniel Brühl aus dem Nähkästchen, wie er einst der Mode-Ikone begegnete. Und das passierte Anfang der Nullerjahre während eines Fotoshootings, bei dem der erfahrene Mode-Star dem nervösen Schauspiel-Jüngling ein gutes Gefühl vermittelte.
Dass er ihn in «Goodbye Lenin!» mochte, erzählte Lagerfeld ihm nicht. Erst viel später erfuhr Brühl durch damalige Mitarbeiter vom Kompliment: «Ich bin ein Fan von diesem Jungen!», habe Karl der Grosse wohl geäussert.
«Ich habe ihn nur ein einziges Mal getroffen und ich habe wirklich nur die Person kennengelernt, die er geschaffen hat», erzählt Brühl in Cannes. «Ich wollte diesen Schutzschild durchbrechen und herausfinden, wer die Person wirklich ist.»
Der Schauspieler sichtete zahlreiche Interviews seiner Figur und unterhielt sich mit Menschen aus dessen Umfeld, Bei aller Vorbereitung sorgte die «widersprüchliche Lebensführung» von Lagerfeld freilich für schauspielerische Hürden, zumal der Couturier auch recht kreativ bei der Darstellung seines Privatlebens inklusive seines Alters gewesen sein soll.
Nachdem die drei gedruckten Biographien sich schon nicht einig seien, rechnet Daniel Brühl durchaus mit Kritik an der Serie. Doch darauf ist er vorbereitet: «Die Gefahr ist etwas, das mich reizt. Ich bin furchtloser geworden.»
Das letzte Wort gebührt natürlich dem Mode-Karl:
«Es ist nicht so, dass ich mich gut finde, aber es könnte schlimmer sein.»