Eine Pride wäre sein Traum

Er ist der erste Fighter für die Rechte von Gays in der Schweiz: Jakob Rudolf Forster (1853-1926). Der Historiker Philipp Hofstetter und der Journalist René Hornung haben ein Buch über den Gay-Pionier geschrieben – ein packendes Portrait eines Kämpfers und ein spannender Einblick ins Schwulenleben des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Von Marcel Friedli-Schwarz

«Ui, damit lande ich beruflich in der schwulen Ecke»: Das befürchtet der 50-jährige Historiker Philipp Hofstetter, als ihm Journalist René Hornung den Stoff unterbreitet – die Geschichte des ersten Kämpfers für die Rechte von Schwulen: Jakob Rudolf Forster (1853-1926). 

Seit kurzem ist das Buch über den ersten schwulen Aktivisten in der Schweiz erhältlich: Der Urning – Selbstbewusst schwul vor 1900.

Die Autoren: Journalist René Hornung und Historiker Philipp Hofstetter.

Jakob Rudolf Forster wächst im Nachbardorf von Philipp Hofstetter auf: in Brunnadern, fünfzehn Kilometer entfernt. «Auch ich bin vom Land, ich stamme auch aus dem Toggenburg», sagt Philipp. «Jakob Forster hat einen ähnlichen Hintergrund wie ich – jedoch in einer anderen Zeit.» 

Endgültig macht es klick, als der 50-Jährige den vollen Namen von Jakob Rudolf Forster auf sich wirken lässt: Wie Jakob Forster heisst auch Philipp mit zweitem Vornamen Rudolf.

In der Männerbadeanstalt in Zürich – eröffnet 1883 – ging es nicht nur um sportliche Ertüchtigung.

Allen Widerständen trotzen

Diese Details sind nun Nebensache. Nach dem intensiven Recherchieren ist Philipp von Jakob Forster erst recht fasziniert: «Eine vielschichtige Persönlichkeit, die vor allem eine Richtung kennt: vorwärts», sagt er. «Er reizt alles aus. Manchmal bewegt er sich am Rande der Legalität und provoziert so die Hüter der Ordnung. Zudem weiss er sich gut in Szene zu setzen: Geschickt und wirkungsvoll wählt er seine Worte, um sie für sich einzusetzen – und für die Rechte schwuler Männer.»

Selbstbewusst ist Jakob Rudolf Forster. «Trotz aller Widerstände», ergänzt Co-Autor René Hornung, «lässt er sich nicht unterkriegen. Forster wehrt sich, wo immer das möglich ist. Er muss viel mehr kämpfen als wir heute. Prides, wie es sie heute gibt: Das wäre wohl sein Traum gewesen.»

In der Männerbadeanstalt in Zürich suchten viele Männer Kontakt.

Studieren, überprüfen, schreiben

Im St. Galler Staatsarchiv begegnet René vor zwanzig Jahren Jakob Rudolf Forster in Form einer Akte mit der Aufschrift: Verwirrte Eingaben. Vermutlich handelte es sich um ein Dossier, das in den Justizakten nicht eingeordnet werden kann.

Beim Sortieren stösst René Hornung auf die Autobiografie von Jakob Rudolf Forster. Mit seinen Artikeln macht René den Gay-Pionier vor allem in der Ostschweiz bekannt. 

Der Stoff ist ausgeschöpft – bis neue Akten auftauchen, die Jakob Rudolf Forsters Kampf durch alle Instanzen beleuchten: all die juristischen Auseinandersetzungen, die psychiatrischen Gutachten. 

«Dies ermöglicht uns», sagt Philipp, «die Fakten von Jakob Forsters Autobiografie zu überprüfen und sie in den historischen Kontext zu setzen.» Das Handwerk des Historikers kommt zum Zug: zum Teil sehr umfangreiche Akten lesen, transkribieren; Sekundärliteratur studieren.

Im knapp 400-seitigen Buch wird das Leben des Gay-Pioniers beschrieben. «Zudem erfährt man vieles über ein dunkles Kapitel der Geschichte: die administrative Versorgung», sagt Philipp. «Und auch über die Geschichte der Sexualität: das Auseinandersetzen damit, was Homosexualität genau ist. Das Suchen nach Erklärungen.»

Im bescheidenen Haus «zum Speiserthor 1» im Vordergrund wohnte die Familie Forster 1866 und verkaufte hier Honig, Latwerge, Spezereien und Tabak. 

Unterhalten und vermitteln

Die beiden Autoren sind überzeugt, dass ihr Werk ein breites Publikum anzusprechen vermag. «Es soll unterhalten», sagt Philipp Hofstetter, «und die damalige Zeit vermitteln.»

Philipp und René träumen von einem Bestseller – sind aber auch zufrieden, wenn sie für ihre jahrelange Arbeit mit einem Goodseller belohnt werden. «Zuversichtlich stimmt uns, dass wir bei Stiftungen und Verlagen gleich auf offene Ohren und Interesse gestossen sind.» 

Forster macht seine Bekanntschaften unter anderem in der Bierhalle «Falken» an der St. Galler Speisergasse.

Widerstand, Aufbruch, Mut

Der erste schwule Aktivist

Das eben erschienene Buch Der Urning – Selbstbewusst schwul vor 1900 wirft einen Blick auf die Anfänge des homosexuellen Lebens in der Schweiz. Die Aufzeichnungen des Protagonisten Jakob Rudolf Forster (1853–1926) und viele Originaldokumente zeichnen ein Bild von Verfolgung – aber auch von Widerstand, Aufbruch und Mut.

Forster hat ein reges Liebesleben. Das zeigt sein kleines blaues Notizheft mit dem Titel Meine Geliebten. Hier notiert er seine (vielen) Bekanntschaften, Affären und Liebschaften. 

In seiner 1898 publizierten Autobiografie «Justizmorde im 19.Jahrhundert – Wahrheitsgetreue Darstellung des fast unglaublich verfolgten Schweizers J. R. Forster, Heiratsvermittler von Brunnadern (St. Gallen)» beschreibt Jakob Rudolf Forster seine Jugend im ländlichen Toggenburg, seine Adoleszenz in St. Gallen, seine Reisen und das spätere Leben in Zürich. Anfänglich über seine Liebesrichtung besorgt, entwickelt er ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Er darf weltweit als einer der ersten Vorkämpfer gegen die Verfolgung der Homosexuellen und für gleiche Rechte bezeichnet werden – in der Schweiz ist er der erste schwule Aktivist überhaupt. 

Die Behörden reagieren mit Repression auf Jakob Rudolf Forsters aufklärenden Aktivismus. Denn im ausgehenden 19. Jahrhundert wird mannmännlicher Sex nicht nur bestraft, sondern auch umfassend geächtet. Forster wird unterdrückt, gedemütigt, verfolgt, verhaftet, verurteilt, bestraft, abgewiesen, ausgewiesen, eingewiesen, weggesperrt, denunziert und bedroht. Doch gegen jeden Strafbefehl, gegen jede Ausweisung aus einem Dorf wehrt er sich. Oft durch alle Instanzen bis zum Bundesrat, so dass der Vorsteher des Eidgenössischen Justizdepartements 1886 in einem Brief an den St. Galler Regierungsrat Forster als «sehr anrüchiges, wenn nicht gänzlich irrsinniges Subjekt» tituliert und loswerden will.

Mehrfach landet er im Gefängnis und in der Psychiatrie. Den Richtern schreibt Jakob Rudolf Forster klipp und klar: «Ich war, bin und bleibe Urning.» Urning bezeichnete damals Männer, die Männer begehren.

Philipp Hofstetter, René Hornung: Der Urning – selbstbewusst schwul vor 1900.

Verlag Hier + Jetzt, Zürich.
384 Seiten, 44 Franken.