Brauchst du das wirklich? Bist du dir das Wert? Von der Kunst, sich was zu gönnen.
Von Frank Richter
Ich leide an Anhedonie. Zumindest meint das Google, als ich eintippe: Wie heisst es, wenn man sich selbst nichts gönnt? Also nichts ist übertrieben. Ich gönne mir schon Sachen: Miete, die Krankenkasse (da gönne ich mir sogar jedes Jahr mehr) oder ab und an mal einen Kaffee bei einer grossen Kaffeehauskette aus Seattle. Aber halt nichts, was wirklich teuer wäre. Keine Rolex, keine Klamotten von Louis Vuitton, kein Yoga-Retreat auf Bali.
Ein befreundeter Comedian zum Beispiel besitzt eine Uhr im Wert von 12‘000 Franken. So viel Geld würde ich im Leben nie für mich ausgeben. Was man ihm allerdings zu Gute halten muss, auf der Bühne zieht er den Zeitmesser nicht an, damit er bescheidener rüberkommt. Ich habe solche Tricks Gott sei Dank nicht nötig. Ich lege schon Bescheidenheit an den Tag mit meinen Ticketverkäufen. Meine Rolex heisst Casio. Mir ist bewusst, wenn man sich eine Zwangsstörung aussuchen dürfte, handelt es sich bei meiner Anhedonie um ein Luxusproblem. Aber genau mit Luxus habe ich ja das Problem. Und das muss aufhören.
Geld rein, Geld raus
Ein Kollege von mir behauptet: «Rassismus ist wie ein Znünibrötli: Wird einem in der Regel von den Eltern mitgegeben.» Mit meiner Anhedonie ist es wahrscheinlich genauso. In meiner Kindheit hiess es: «Wir machen keine Schulden und wir geben nicht unnötig Geld aus.» Das wurde mir regelmässig eingetrichtert, wenn ich an der Kasse was Süsses wollte oder im Spielzeuggeschäft anfing zu quengeln. Natürlich ist die Definition von «unnötig» sehr subjektiv, aber noch heute frage ich mich vor jedem Kauf: Brauchst du das wirklich? Eine gute Freundin ist da ganz anders drauf. Kommt Geld rein, muss es Ende Monat wieder raus. Sie ist richtiggehend gestresst, wenn am 31. des Monats noch etwas übrigbleibt.
Geizig bin ich lustigerweise nur mit mir selbst. Wenn es um andere geht, darf es ruhig auch mal was kosten. Helikopterflug für zwei, Essen im Sternerestaurant, Konzerttickets für die Row Zero bei Scooter, alles kein Problem. Aber Sushi an einem Mittwochabend für mich alleine? Auf keinen Fall. Wenn, dann höchstens im Ausland. Bei Massagen ist es das Gleiche: Wenn, dann nur im Ausland. Eine Thaimassage in Zürich kostet 120 Franken pro Stunde, das sind zwei Franken pro Minute. Um da das Maximum rauszuholen, müsste ich ja schon eingeölt reinlaufen.
Das letzte Hemd hat keine Taschen
Kürzlich war ich mit einem Kollegen in Luzern im Auto unterwegs. Als wir durch eine Strasse mit hässlichen Reihenhäusern fuhren, sagte er: «Hier hat eine Tante von mir gelebt. Als sie starb, hat sie der Familie 6 Millionen vererbt. Niemand wusste, dass sie so reich ist. Hat sie sich alles vom Mund abgespart.» Mir schossen direkt zwei Gedanken durch die Synapsen. Erstens, schade war sie nicht meine Tante und zweitens, so willst du nicht werden.
Gleich am Tag darauf habe ich einen schwarzen Smoking aus Samt von Boss bestellt. Brauche ich den? Absolut nicht. Will ich ihn: Ja! Seit zwei Jahren lege ich ihn in den Warenkorb und schliesse die Bestellung nicht ab. Weihnachten steht vor der Türe und dieses Jahr wird es vor allem ein Fest für mich selbst. Die goldenen James Bond-Manschettenknöpfe für 180 Franken? Jep, gekauft. Neue Noise-Cancelling-Kopfhörer für 400 Stützli? Aber so was von. Die grüne Rolex Submariner mit Datumsfunktion für 14‘432 Franken? – Wir wollen’s mal nicht übertreiben. Aber meiner Casio spendiere ich eine neue Batterie.