Das Ballett des Stadttheaters Bern zeigt drei Kult– und Skandalballette an einem Abend: den «Sacre du Printemps» von Strawinsky, den «Après-midi d‘un Faune» von Debussy und Ravels «Boléro».
Text Christian Waefler
Die Stücke gehören zu den Ikonen der Tanzgeschichte und wurden Anfang des 2o. Jahrhunderts kreiert – von den berühmten Ballets Russes, die in Paris Aufsehen erregten. DISPLAY stellt dir die Kult-Ballette vor und sprach mit den Choreographen des «Sacre».
BRUTALER BODY-TALK: DER «SACRE DU PRINTEMPS»
Die Musik – sie stampft, heult und brüllt und treibt die Töne triebhaft vorwärts, bis zur rhythmischen Extase. Auf der Szene eine Gruppe von Menschen – sie bewegen sich expressiv und exzessiv, eingesperrt in einen engen schwarzen Raum.
Diese Action sieht man gegenwärtig im Konzert Theater Bern: im Ballett «Le Sacre du Printemps», einem Tanzstück von Igor Strawinksy – das vor hundert Jahren einen sagenhaften Skandal provozierte. Die Musik handelt von einer Frau, die in einem archaischen Ritual dem Fruchtbarkeitsgott geopfert wird. Neu inszeniert hat das Stück das berühmte israelisch-niederländische Choreographen-Duo Uri Ivgi und Johan Greben. In einer Probe sprach DISPLAY mit den Schöpfern des Berner «Sacre du printemps».
EROTISCHER TOUCH
Welches ist ihre Vision des Tanzstücks, das bis jetzt alle renommierten Ballettbühnen der Welt erobert hat? «Wir wollten nicht ein archaisches Ritual kreieren, sondern das Stück mit der Gegenwart verbinden, gesellschaftliche Realität reflektieren», so das Credo der beiden Choreographen. Die Tanz-Dynamik fokussiert auf Stress, Isolation und Brutalität. «Das Stück demonstriert, wie rücksichtslos wir Menschen miteinander sind», erklärt Uri.
Natürlich haben die exzessiven Moves und der brutale Body-Talk einen erotischen Touch. Uri: «Okay, im ‚Sacre‘ gibt es viel Passion und die Konstellationen sind sexy, sinnlich und verführerisch, aber nicht billig erotisch.» Nicht nur erotisch sondern auch «energetisch und vital» ist, so Johan, vor allem der erste Teil des Balletts: die Feier des Lebens. Später verwandelt sich der Groove ins Gewalttätige, rücksichtslos Egoistische. Es geht ganz krud um den atavistischen struggle for life. Und das Setting, so Johan, sei «eine Reflexion der gegenwärtigen Welt, man denke nur an den Krieg in Syrien».
RAUE UND ROHE ÄSTHETIK
Der Berner «Sacre» ist also weit entfernt von süsser Ballett-Beauty, von Tütüzauber, trippelnden Schwänen und charmanten Prinzen. Trotzdem ist das Stück mega-ästhetisch: in Form einer rauen und rohen, ja orgiastisch pulsierenden Ästhetik.
Wir Gays mögen ja Tanz, der die Schönheit der Körper zelebriert, die elegante Dynamik und die Erotik des Mannes. Das Choreographen-Duo sagt, dass auch sie – selber schwul – «die Attraktivität des männlichen Körpers mögen, aber nicht eine clichéhafte schwule Ästhetik pflegen». Sowieso, meinen sie, leben wir in einer Epoche der Gender Fluidity, in der die Grenzen der Geschlechter verfliessen.
Einen Reflex der Gay-Existenz zeigt das Ballett, in dem ein Mann als Opfer zurückbleibt – eine Analogie zur Diskriminierung, der wir Schwulen immer noch ausgesetzt sind.
Uri und Johan kreieren ihre Ballette in enger Kooperation. Das heikle Teamwork zweier kreativer Geister klappt, so Johan, «weil jeder den anderen respektiert und viel Toleranz aufbringt» – ein Paradigma einer gelungenen schwulen Existenz! Die beiden Choreographen – Uri stammt aus Israel und Johan aus den Niederlanden – tanzen auch im privaten Leben einen Pas de deux – im gayfriendly Amsterdam.
ANIMALISCHE TRIEBE: DER «FAUN»
Das zweite Ballett des Abends zeigt das Balzen eines Fauns an einem schwülen Sommernachmittag. Der Titel heisst entsprechend «L’après-midi d’un Faune», nach der Musik des französischen Impressionisten Claude Debussy. Der Faun verführt zwar Nymphen, ist aber optisch auch für uns Gays verführerisch: der Tänzer vollführt seinen triebhaften Tanz quasi im Naturkostüm – und ist sehr muskulös und männlich.
SCHICKE ORGIE: DER«BOLERO»
Das dritte Werk dieses sensationellen Ballettabends in Bern ist Maurice Ravels «Boléro» gewidmet. Das Stück spielt in einer Kunstgalerie mit schicken, snobistischen Gästen. Ravels «Boléro» ist vom ersten zarten Ton hin zum furiosen Finale ein extatisches Crescendo – das im Ballett Bern mit einer echten Orgie endet – nackte Männerbodys inbegriffen.
SACRE/FAUN/BOLERO.
Konzert Theater Bern: Drei Ballette, inszeniert von international bekannten Choreographen.
Premiere: 28. Oktober. Weitere Aufführungen bis im Februar 2018.
Infos: www.konzerttheaterbern.ch