In den Sozialen Medien begegnen wir fast nur Menschen, die uns scheinbar überlegen sind. Ihre Bodys sind «besser» definiert, ihre Gesichter scheinbar «perfekt». Was macht das mit uns?
Text José Kress
Routinemässig öffnen wir Instagram & Co. auf unseren Smartphones und prompt füllen sich die Bildschirme mit Sixpacks und perfekten Gesichtern. Vielleicht macht es uns anfangs nichts aus, von Instagram eine Auswahl an beneidenswerten Körperbildern zu erhalten, doch mit der Zeit geraten wir dadurch unter Druck. Wir lernen durch gesellschaftliche Bedingungen, was unser Körper für uns bedeutet und wie wir mit ihm umgehen.
Fakt ist: Unserem Körper können wir nicht entfliehen – Welche Beziehung haben wir zu ihm?
Viele junge Männer fühlen sich unter Druck, einem Ideal zu entsprechen. DISPLAY befragte dazu den schwulen Berner Psychologen Jan Bertschinger. Er hat seine Praxis im Berner Quartier Breitsch (Breitenrain) an der Spitalackerstrasse 53, wo er seine Klient*innen behandelt.
«Vergleiche dich nie mit anderen», predigen Lifecoaches und Erfolgsgurus auf Social Media. Überraschend war dementsprechend die Ansicht des Psychologen: «Sich mit anderen zu vergleichen und sich Sorgen um den eigenen Körper zu machen, ist schlichtweg menschlich», meint Jan Bertschinger. «Das haben wir schon als Kind von unserem Umfeld gelernt: Sich mit anderen zu vergleichen gilt als normal und dient als Orientierung im sozialen Kontext. Das Problem entsteht, sobald wir den Drang haben, die natürlichen Differenzen zu beseitigen. Dabei sind doch Unterschiede ganz normal – auch am Körper».
«Viele Menschen fühlen sich leer, wenn sie nur durch das Äussere validiert werden»
Doch wie können wir, in einer Welt, in der «Perfektion» oder «Schönheit» ständig positiv bestätigt wird, eine gute Beziehung zu unserem Körper aufbauen? Jan Bertschinger erklärt, dass exzessive Oberflächlichkeit ein Stück weit bereits in unserer Kindheit entstehen und später durch allerlei Eindrücke und Erfahrungen gefestigt werden kann. Wenn wir in einem Umfeld aufwachsen, in dem wir immer wieder aufgrund unseres Aussehens bestätigt werden, dann lernen wir, dass wir uns vor allem um unser Äusseres kümmern müssen, um der Gruppe anzugehören.
Unser Umfeld, Familie, Freunde und Partner*innen, spielen eine wichtige Rolle. Jan Bertschinger kennt dies von seiner Praxis sehr gut: «Viele Menschen fühlen sich leer, wenn sie nur durch das Äussere validiert werden. Wichtig ist, dass wir uns mit Menschen umgeben, die unsere inneren Werte sehen – die nicht oberflächlich sind», denn «Oberflächlichkeit und ständige Optimierung sind ungesund. Das Wichtigste ist, dass wir uns schlichtweg nicht darum kümmern». Dies ist nicht immer einfach.
«Auch eine supertrainierte Person kann immer irgendwelche Imperfektionen am eigenen Körper finden – das ist gefährlich»
Schnell verfällt man ins Bodyshaming – beispielsweise beim Blick in den Spiegel. Für den Psychologen Jan Bertschinger ist es wichtig, sich der Situation bewusst zu werden und die Gedanken als das zu interpretieren, was sie sind: Nur Gedanken. «Insbesondere in der heutigen Leistungsgesellschaft, in der Optimierung ganz oben steht, kann sogar eine supertrainierte Person immer irgendwelche Imperfektionen am eigenen Körper finden – das ist gefährlich».
Menschen, die ihr Leben einschränken, weil sie sich im eigenen Körper nicht wohl fühlen, sollten lernen, sich dessen bewusst zu werden und darüber zu reflektieren. «Wir sollten unseren Körper nicht verstecken, und wenn wir uns vor dem Spiegel beim Bodyshaming erwischen oder nicht in die Badi gehen und unseren Körper verstecken, sollten wir reagieren», denn «solange man medizinisch gesund ist, muss man am eigenen Körper nichts verändern und es ist wichtig zu verstehen, dass der eigene Wert nicht vom Körper abhängt».
«Wenn du dich als Twink definierst, bist du mit 25 Jahren draussen»
Die schwule Szene ist sehr oberflächlich. So besagt es zumindest das Vorurteil, und ein Stück weit erfüllt sich die Prophezeiung, denn die Standards sind in der gay world hoch gelegt.
Für den Psychologen Jan Bertschinger ist es nachvollziehbar, weshalb manche schwulen Männer oberflächlich sind. «Es könnte sein, dass in der Community aufgrund von Ausgrenzung in der Kindheit oder im Erwachsenenalltag die Notwendigkeit, einer Gruppe anzugehören grösser ist und versucht wird, über einen vermeintlich perfekten Körper Anerkennung und Zugehörigkeit zu erlangen. Wenn man sich keiner Gruppe zugehörig fühlen kann, können schnell Unsicherheiten entstehen, was wiederum ein nahrhafter Boden für psychische Schwierigkeiten sein kann».
Bären, Otter, Hunks und Twinks
Für den Psychologen sind viele Definitionen in der gay Community limitierend. «Wenn du dich als Twink definierst, bist du mit 25 Jahren draussen. Entweder muss man für immer jung bleiben oder für immer alt oder dick oder dünn, das ist schlichtweg unmöglich – Kannst du stattdessen nicht einfach du sein?». Tatsache ist, dass «Definitionen vieles vereinfachen, wir können schnell eine Situation einschätzen. Vor allem, wenn es um Sex geht, ist es praktisch zu wissen, welche Vorlieben man selber und der Sexpartner hat». Ausserhalb des Sex sind diese Definitionen für Jan Bertschinger limitierend – «die braucht es eigentlich nicht».
Auf Instagram & Co. werden nackte Körper, Schönheit und Oberflächlichkeit positiv bestätigt – unsere Realität kann sich so verzerren. Die «perfekten» männlichen Bodys werden zur Normalität, und plötzlich sind scharf definierte Bauchmuskeln, ein akkurat gestutzter Bart, kräftige Beine und eine modische Frisur Zwang. Dabei kommt ein Prozess der Selbstoptimierung zum Vorschein, denn den eigenen Körper kann man verbessern. Für den Psychologen ist der Moment längst gekommen, dass wir mit Instagram & Co. umzugehen lernen, denn «ein Selbstwert, der nur auf dem Body basiert, ist fragil».
Es ist sehr schwierig, all diese Eigenschaften zu besitzen und vor allem: Unnötig, doch das haben wir schon längst vergessen.
Die Autorin des Buchs «Bodies», Susie Orbach, reflektiert unser Verhalten und die Einstellung, die wir gegenüber unserem Körper haben. Für die ehemalige Therapeutin von Prinzessin Diana hat sich unser Körper in ein Schaustück verwandelt. Ein «guter» Körper wird «glamourös, viril, vital, sportlich und gesund» dargestellt. Unbewusst oder bewusst möchten wir diese Eigenschaften für unseren Körper erlangen. Wir empfinden ihn als nicht gut genug und starten einen ewigen Prozess der Selbstoptimierung. Es ist jedoch sehr schwierig, all diese Eigenschaften zu besitzen und vor allem: Unnötig. Doch das haben wir schon längst vergessen.
Um das ideale Körperbild zu erreichen, versuchen wir einen «perfekten» Lebensstil zu verfolgen, von Sport über Ernährung: Definitiv zum Scheitern verurteilt. Denn um «glamourös, viril, vital, sportlich und gesund» zu sein, müssen wir das Unmögliche tun. Instagram & Co. füllen sich mit Menschen, die den Drang empfinden, ihren Körper öffentlich zeigen zu müssen und um Anerkennung und Bestätigung betteln. Auch für den Psychologen Jan Bertschinger ist dieses Verhalten bei seinen Patient*innen gang und gäbe, denn «viele haben das Gefühl, dass sie ihren Körper mit allen Mitteln perfektionieren müssen».
«Oberflächlichkeit und ständige Optimierung
Psychologe Jan Bertschinger
sind ungesund»
Auch wenn die Bilder auf Social Media öfters Fake sind, bestätigen die User*innen mit ihrem Like, dass ein «schöner» Körper Anerkennung bekommt. Der Glückshormonschub dauert jedoch nicht lange: Am nächsten Tag muss schon wieder ein Bild des eigenen Bodys gepostet werden. Tausende Accounts, die mit hunderten von ähnlichen Körperbildern gefüllt werden, schreien nach mehr Followers und Likes – Tag für Tag, als wären sie verzweifelt: «Hey, mein Körper sieht auch heute gut aus!».
Für den Psychologen Jan Bertschinger ist dieses Verhalten gefährlich: «Ein Extrem wird zur Normalität. Wenn wir Menschen followen, die ihren Körper auf Sozialen Netzwerken verkaufen, tut uns das nicht immer gut. Es ist wichtig, sich um das eigene Umfeld zu kümmern und seinen Selbstwert auch über andere Wege zu nähren. Wir sind in den Kinderschuhen im Umgang mit Social Media. Wir müssen noch lernen, wie wir sie gesund konsumieren».
Der Psychologe gibt uns dafür einen einfachen Rat: «Wenn in deinem Umfeld nur über das Äussere gesprochen und nur dein Aussehen validiert wird, dann solltest du etwas im Umfeld verändern oder zumindest den Umstand ansprechen».
«Wir müssen die Möglichkeit haben, unsere unterschiedlichen Körper, die wir auf unsere jeweils eigene Weise schmücken und bewegen, als Quelle selbstverständlicher Lust und Freude zu erleben.»
Susie Orbach
Orbach bringt es in Bodies auf dem Punkt: «Unsere Körper sollten nicht in Stätten permanenter Arbeit und von kommerziellen Interessen getriebener Produktion verwandelt werden. Wir müssen die Möglichkeit haben, unsere unterschiedlichen Körper, die wir auf unsere jeweils eigene Weise schmücken und bewegen, als Quelle selbstverständlicher Lust und Freude zu erleben.» Eine Möglichkeit ist es, auf Instagram vorgeschlagene Körperbilder mit der Funktion «kein Interesse» zu klassifizieren, um der App gezielt mitzuteilen: Mich interessiert dein Körperbild nicht – und das tut gut.
Buchtipp
Susie Orbach: Bodies. Im Kampf mit dem Körper. Arche.
Junge Männer unter Druck
Viele – besonders junge – Männer wollen entweder abnehmen oder dann Muskeln zulegen, um ihrem Schönheitsideal zu entsprechen, und gemäss einer neuen Studie der Fitnesskette PureGym greift jeder zehnte Mann im Alter von 18 bis 32 Jahren zu anabolen Steroiden, um das Muskelwachstum zu beschleunigen. Rund 40 Prozent konsumieren ausserdem regelmässig Nahrungsergänzungsmittel wie Proteinpulver, Kreatin oder Multivitamin-Präparate. Ganze 37 Prozent fühlen sich stark oder sehr stark unter Druck, ihrem eigenen Schönheitsideal zu entsprechen. Einen grossen Einfluss haben dabei die Sozialen Medien. 53 Prozent der Befragten geben diese als wichtigsten Input für ihr Schönheitsideal an, jeder Dritte lässt sich zudem von Persönlichkeiten in Film, Musik oder Sport beeinflussen.
Quelle: PureGym Swiss