Mit DAVID LAMBERT unterwegs in Brüssel

«Ich konzentriere mich darauf, intime und authentische Geschichten zu erzählen, die das Publikum dazu anregen, seine eigenen Schlüsse zu ziehen» 

Ein Liebespaar am Scheidepunkt

David Lamberts Film «Les tortues» über eine langjährige Liebe wurde am Pink Apple gezeigt. Der Regisseur erklärt, was wir vom Film erwarten können. 

DISPLAY: David, dein neuer Film heisst «Les tortues». Was symbolisieren die Schildkröten? 

David Lambert: Die Schildkröten repräsentieren die langjährige Bindung und Treue zwischen Partnern, ein zentrales Thema, das ich versuchte, einfühlsam anzugehen. Diese Symbolik zieht sich durch die gesamte Handlung und spiegelt die Tiefen der zwischenmenschlichen Beziehungen wider, die ich erkunden möchte. 

Eine faszinierende Metapher. Wie hast du sie umgesetzt? 

Ich habe das Drehbuch selbst geschrieben und auch Regie geführt, wobei ich den Film wie ein Bühnenspiel inszeniert habe. Es ähnelt einer Matrjoschka-Puppe, die sich Schicht für Schicht entfaltet. Die Handlung beginnt in einem intimen Rahmen – im Bett – führt weiter durch die Wohnung und weitet sich dann aus auf Orte in Brüssel wie den Antiquitätenmarkt am Place de Belle. Von dort aus bewegen sich die Darsteller durch das Quartier Marolles und schliesslich quer durch die Stadt bis hin zu einer entscheidenden Szene vor dem Richter im Gerichtssaal. Diese schrittweise Erweiterung des Raumes spiegelt die Entwicklung der Charaktere und ihrer Beziehungen wider. 

Du wohnst in Brüssel. Welche Orte der Stadt haben dich besonders inspiriert? 

Ich bin tief mit Brüssel verbunden und besonders angetan von der Dynamik des Marolles-Viertels. Die soziale und kulturelle Vielfalt dieses Quartiers gibt dem Film seine einzigartige Atmosphäre. Trotz der Darstellung einer zunehmend digitalisierten Welt fängt der Film das echte Leben und die lebendige Nachbarschaftskultur ein, die hier herrscht. Diese Elemente bilden einen starken Kontrast zur kalten Technologie und heben die Wärme menschlicher Interaktionen hervor. 

Deine Filme handeln allesamt von emotionalen Interaktionen. Siehst du weitere Gemeinsamkeiten? 

In allen meinen Filmen stehen Menschen im Mittelpunkt, die tiefgreifende persönliche und existenzielle Herausforderungen durchleben. Diese Fragen beschäftigen auch mich sehr. Jede Filmfigur trägt Züge von mir, enthält aber auch fiktionale Elemente. Mir ist es wichtig, die Zuschauer zum Nachdenken anzuregen, ohne ihnen die Antworten vorzugeben. Schliesslich bin ich kein Therapeut. Das Publikum soll mit diesen Fragen den Kinosaal verlassen und weiter darüber nachdenken. Wenn Zuschauer mich nach einer Vorführung umarmen und mir zeigen, wie sehr sie die Themen berühren, weiss ich, dass der Film seine Wirkung erreicht hat. 


Lamberts Filme

David Lamberts Filmwelt ist geprägt von Emotionen, die sowohl berühren als auch fordern. Sein Debütfilm «Beyond the Walls» (2012) nimmt uns mit auf eine emotionale Reise durch die Liebe eines Paars, dessen Beziehung durch die Anwesenheit einer Freundin kompliziert wird.  

In «All Yours» (2014) taucht Lambert in die Welt des unkonventionellen Liebeslebens von Lucas ein, einem heterosexuellen Argenti-nier, der sich in Belgien in einen älteren Bäcker verliebt. 

Und mit «Third Wedding» (2018) schafft Lambert ein herzergreifendes Porträt von Martin, der nach dem Verlust seines Mannes eine unerwartete Verbindung mit einer afrikanischen Immigrantin eingeht.


In Brüssel unterwegs

Ich habe mich mit David am belebten Flohmarkt am Place du Jeu de Balle verabredet. Dieser Spot spielt eine zentrale Rolle in seinem Film, denn die Wohnung des Männerpaars Henri und Thom liegt hier gleich um die Ecke. Der Platz ist ein Treffpunkt im Les Marolles-Viertel, ein Quartier, das für seine lebendige Atmosphäre bekannt ist. 

David ist nicht zu übersehen, eine imposante Erscheinung und liebenswert auf den ersten Moment. Er führt mich über den Platz, auf dem täglich ein Antiquitätenmarkt stattfindet, wo jede*r seine Schätze zum Kauf anbieten kann – eine Szenerie, die David liebt. 

Wir schlendern zusammen die Rue Haute entlang, die mit ihren Designerläden, Galerien und exotischen Restaurants das hippe und künstlerische Flair des Viertels ausmacht. 

Die Gastronomie des Viertels ist international – von irakischem Falafel über taiwanesische Reisnudeln bis hin zu veganen Cafés und belgischen Pommes frites gibt’s in diesem multikulturellen Viertel alles. 

David betont, dass hier jede Sprache der Welt zu hören ist und wie sehr er sich in diesen kulturellen Schmelztiegel verliebt hat. 

Wir kommen bei der Möbel-Boutique Dokidoc an, wo wir auf Dan und Ashraf treffen. Dan ist spezialisiert auf die Restaurierung alter Lampen, während Ashraf, ein Kunsthändler, beruflich oft verreist, aber immer gern nach Brüssel zurückkehrt. 

Beide schätzen die offene Gayszene der Stadt, und Ashraf betont, wie bedeutend Belgien als eines der ersten Länder war, das die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglichte. Die jährliche Pride hier ist ein Fest, das die ganze Stadt erfasst und in die Farben des Regenbogens taucht. 

Wir bekommen Hunger, und David will mit mir die berühmten Käsekroketten bei Nordzee degustieren – eine Brüsseler Delikatesse, die man nicht verpassen darf.

Bevor wir uns verabschieden, gibt David uns noch einige Tipps für den Abend: Wir sollten in der Cocktailbar «Life is Beautiful» starten und dann die Nacht in den Gay-Bars entlang der Rue du Marché au Charbon fortsetzen, an der es unterhaltsame Drag-Shows gibt. Er erzählt schmunzelnd, dass er schon lange nicht mehr in den Technoclubs war, aber das Nachtleben von Brüssel auch ohne ihn immer noch sehr berüchtigt ist. 

Mit diesen Tipps ausgestattet fühlen wir uns bereit, Brüssel weiter auf eigene Faust zu erkunden. Eine Stadt, die mit vielen neuen Konzepten, spannenden Kontrasten abseits der Politik und einer sehr offenen Community punktet.