Endlich sich selbst sein! Am 11. Oktober ist der weltweite Coming Out Day. Das Coming-out ist eine derart wichtige Angelegenheit, dass man sie wie einen Geburtstag feiern sollte, findet unser Autor Josia Jourdan.
Das Coming-out ist im Leben queerer Menschen ein eminent wichtiger Moment. Es braucht Überwindung, das erste Mal «darüber» zu sprechen. Selten ist es eine einmalige Sache. Egal ob gegenüber Familie, Freunden oder dem Arbeitsumfeld – immer wieder werden wir damit konfrontiert, uns und anderen erklären zu müssen, dass wir eben nicht hetero sind.
Bei manchen ist es kaum ein Thema, andere beginnen mit uns darüber zu diskutieren, ob wir denn Menschenrechte «verdient» hätten, und wieder andere wollen uns versichern, dass der Cousin der Nachbarn ja «auch schwul» sei und «ein ganz Lieber» und sowieso.
Das Coming-out ist ein Prozess
Ein einziges, klares Coming-out-Datum gibt es wahrscheinlich für die wenigsten. Denn der Prozess ist langwierig. Haltung für sich selbst einzunehmen, braucht auch Jahre später noch Mut. Die Reaktionen fallen schliesslich nicht ausschliesslich positiv aus. Gerade im Arbeitsumfeld kann es zur Herausforderung werden, wenn die Ehefrau zum Geschäftsessen miteingeladen wird, oder heteronormative Lebensentwürfe und Kleidungsstile vorausgesetzt werden. So müssen wir uns klar positionieren oder eben mit einem Mann an der Hand am Geschäftsessen auftauchen.
«Wir feiern unsere Geburtstage und diverse religiöse Feste – warum also nicht auch unseren Coming-out-Geburtstag?»
Vielleicht gelangen wir irgendwann an einen Punkt, wo es kaum mehr Überwindung kostet, darüber zu sprechen. Vielleicht sind wir es auch leid, uns immer wieder erklären zu müssen. Wir kennen die Phrasen, die Reaktionen und wissen damit umzugehen. Vielleicht empfinden wir gar nicht mehr die Notwendigkeit, darüber zu sprechen, sondern wissen, dass wir mit unserer Art und dem, was wir einer anderen Person erzählen, genügend Hinweise liefern – so dass das Coming-out zwischen den Zeilen stattfinden kann.
Anderen steht es auf die Stirn geschrieben, ihre ganze Art und Weise schreit: «queer!» – ich bin wahrscheinlich einer von denen. Wobei mir dieses Kategoriendenken ziemlich auf den Wecker geht.
Nach einem Coming-out ist der Zeitpunkt gekommen, endlich sich selbst zu sein. Wie das aussieht, muss jeder für sich selbst herausfinden.
Die grosse Angst vor dem Schritt
Wenn ich daran denke, dass mein Coming-out mittlerweile mehr als fünf Jahre zurückliegt, kann ich es kaum glauben. Einerseits wirkt es noch so nah. So gut weiss ich noch, wie gross meine Angst war, wie schwierig die ersten Monate danach waren und wie viel sich verändert hat. Mittlerweile ist es für mich selbstverständlich, Männer zu küssen, in extravaganter Kleidung auf queeren Partys zu tanzen und öffentlich über meine Haltungen und Erfahrungen zu schreiben. Ich bin also einen ziemlich weiten Weg gegangen. So wie viele von uns. Wir machen Erfahrungen, lernen dazu, lernen uns selbst besser kennen und die Welt, in der Regenbogenflaggen geschwungen werden.
Das Coming-out feiern
Und genau darum habe ich irgendwann angefangen, das jährlich zu zelebrieren. Wir feiern unsere Geburtstage, Jahrestage mit Partner:innen und diverse religiöse Feste – warum also nicht auch unseren Coming-out-Geburtstag? Egal, ob ihr das allein oder mit Freund:innen und Familie macht – gibt es einen schöneren Anlass, als den mutigen Schritt zu feiern, sich endlich selbst zu sein?
Wie bei jeder Feier gibt es keine strikten Vorgaben, aber so wie der Weihnachtsbaum oder die Geburtstagstorte Teile unserer Feste sind, so liefere ich euch fünf Ideen, wie ihr euer Coming-out gebührend feiern könnt.
1 Playlist oder Live-Musik
Ohne Musik keine Party. Vielleicht habt ihr Songs, die ihr mit eurem Coming-out verbindet oder ihr setzt auf eure Lieblingsplatten von Pop-Ikonen wie Kylie, Britney und Madonna? Oder ihr gönnt euch Livemusik in Form eines Konzertbesuches. Und wer es ganz exklusiv mag, feiert mit einem Privatkonzert.
2 Festmahl
So ein Fest ist der beste Grund, sich mal wieder richtig den Bauch vollzuschlagen. Egal ob ihr selber kocht, euch etwas nach Hause bestellt oder einen Tisch in eurem Lieblingsrestaurant reserviert – Kalorien zählen und auf die Linie achten könnt ihr an anderen Tagen. Also gönnt euch ruhig noch ein, zwei Macarons zum Dessert.
3 Nackte Haut
Die ersten Fotos von nackten Männern, die wir heimlich angeschaut haben, wirkten so verboten. Der erste Porno gar wie eine Straftat – umso mehr sollten wir zelebrieren, dass wir nun frei sind und unsere Lust ohne Scham ausleben dürfen. Also ganz egal, ob ihr euch auszieht, Sex habt oder euch bloss einen Bildband anschaut, nackte Haut sollte auf keinen Fall fehlen.
4 Fotoalbum und Nostalgie
So eine Feier ist der ideale Zeitpunkt für eine kleine Zeitreise. Vielleicht habt ihr ein Fotoalbum aus eurer Jugend, alte Partyfotos oder Bilder von der ersten Pride. Die ersten Liebesbriefe, Geschenke vom ersten Freund, kleine Erinnerungsstücke, die sonst bloss auf einem Regal verstauben, aber an glückliche Momente erinnern. Zeit, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken.
5 Ein Geschenk an euch selbst
Oft werden wir von anderen beschenkt und natürlich dürfen euch eure Freund:innen zur Coming-Out-Party auch ein Geschenk machen. Ich halte es aber für einen guten Zeitpunkt, sich selbst zu beschenken. Denn das Coming-out war auch ein Geschenk an sich selbst, ein Geschenk der Freiheit. Warum sich also nicht einen Wunsch erfüllen oder Blumen kaufen?
Das Buch zum Coming-out
Der Schweizer Journalist und LGBTQ+-Aktivist Marco Schättin hat nach seinem Podcast-Projekt «Miis Coming-out» ein Buch geschrieben, in dem er sich voll und ganz diesem Thema widmet.
«Endlich frei!» ist ein queerer Coming-out-Ratgeber und bietet Tipps und Ratschläge, wie das eigene Coming-out gelingen kann, inklusive Übungen und Ideen, das Coming-out zu planen. Aber auch auf kritische Fragen und schlechte Reaktionen wird vorbereitet.
Ergänzt wird das Ganze mit Geschichten von queeren Persönlichkeiten, die Mut machen sollen. Mit dabei sind unter anderem Star-Designer und Heidi Klums Liebling Yannik Zamboni, SRF-Moderator Olivier Borer, Dominique Rinderknecht oder Schwinger Curdin Orlik. Das Buch liefert einen guten Einstieg in die Thematik und eignet sich für alle, die das Coming-out noch vor sich haben oder andere dabei unterstützen möchten.