Queers in Afghanistan werden von den Taliban unterdrückt und mit dem Tode bedroht. Der afghanische Aktivist Ali Tawakuli kämpft für sie.
Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan werden queere Menschen systematisch verfolgt. Auf homosexuelle Handlungen steht sogar die Todesstrafe. Ein Sprecher der Taliban erklärte im vergangenen Herbst gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass es sehr gut geeignete Strafen für Homosexuelle gebe: Entweder sie werden gesteinigt oder sie müssen hinter einer Mauer stehen, die auf sie einstürzt.
Ali Tawakuli ist ein afghanischer LGBTQ*-Aktivist, der sich unermüdlich für die Rechte der LGBTQ*-Gemeinschaft in seinem Heimatland einsetzt. Vor der Machtübernahme der Taliban lebte er in Afghanistan und nutzte ein Pseudonym, um in sozialen Medien auf die Situa-
tion von queeren Menschen aufmerksam zu machen.
Aus dem deutschen Exil setzt Tawakuli seinen Kampf für die Rechte der LGBTQ*-Community in Afghanistan fort und gründete das Netzwerk Rainbow Afghanistan.
DISPLAY sprach mit Tawakuli über seine Erfahrungen als homosexueller Mann in Afghanistan, über die Herausforderungen, mit denen Homosexuelle dort konfrontiert sind und über die Schritte, die die internationale Gemeinschaft dringend unternehmen sollte, um die Community in Afghanistan zu unterstützen.
Hoffnungslose Lage: Unterdrückte Queers in Afghanistan.
DISPLAY: Ali, wie hast du dich gefühlt, als du entdecktest, dass du schwul bist?
Ali Tawakuli: Als ich mir 2016 im Alter von 14 Jahren meiner sexuellen Orientierung bewusst wurde, hatte ich nur Angst. In Afghanistan ist Homosexualität nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern gilt auch als schwere Sünde. Ich dachte damals, ich sei der Einzige, der so empfindet, und fühlte mich sehr allein. Deshalb habe ich versucht, meine sexuelle Orientierung zu verbergen. Ich hatte ständig Angst, dass meine Familie oder mein Umfeld eines Tages herausfinden könnte, dass ich schwul bin.
Welche Auswirkungen hatte das Bewusstsein, eine queere Person zu sein, auf dein Leben in Afghanistan?
Die Angst vor Entdeckung war bei mir allgegenwärtig. In einem Land, in dem homosexuelle Beziehungen durch strenge religiöse Gesetze verboten sind und mit schweren Strafen – von Steinigung bis zum lebendigen Begraben – geahndet werden, war es schwer, ein normales Leben zu führen. Ich musste meine wahre Identität vor meiner Familie und der Gesellschaft verbergen.
Wie hast du es geschafft, dich mit deiner Situation auseinanderzusetzen und Unterstützung zu finden?
Die einzige Möglichkeit, mehr über meine eigene Identität und die LGBTQ*-Gemeinschaft zu erfahren, war für mich das Internet. Über soziale Netzwerke wie Facebook trat ich Gruppen bei und lernte Menschen kennen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Es war eine Erleichterung zu wissen, dass ich nicht allein war, auch wenn das Risiko, entdeckt zu werden, immer noch gross war.
Welche Erfahrungen haben andere queere Menschen gemacht, die du online kenngelernt hast?
Viele Menschen, die ich online kennengelernt habe, hatten auch grosse Schwierigkeiten. Einige wurden von ihren Familien verstossen, als ihre sexuelle Orientierung bekannt wurde. Die Folgen für viele dieser jungen Menschen waren tragisch – einige sahen sich gezwungen, sich zu prostituieren, um zu überleben.
Wie kam es dazu, dass du dich für die Rechte von queeren Menschen engagiert hast?
Eines Tages traf ich mich mit einer Gruppe von vier anderen queeren Menschen aus der Provinz Herat, welche ich über Facebook kennengelernt hatte. Bei diesem Treffen wurde mir bewusst, wie sehr es an Aufklärung und Information über LGBTQ*-Themen mangelt. Viele Menschen, die ich traf, hielten sich für krank und hatten keinen Zugang zu den richtigen Informationen über LGBTQ*-Themen.
Das war der Start für dein Engagement für die Community. Wie hast du begonnen?
Ich beschloss, etwas dagegen zu unternehmen und begann, Informationen über LGBTQ*-Themen auf meiner Facebook-Seite zu veröffentlichen. Die Informationen, die ich teilte, stammten von internationalen Organisationen, die LGBTQ* unterstützen. Mein Ziel war es, anderen queeren Menschen Zugang zu wichtigen Informationen und Wissen zu verschaffen. Das war der Beginn meines Engagements.
Welche Reaktionen hast du auf dein Engagement erhalten?
Die Reaktionen waren gemischt. Während viele Menschen die Informationen schätzten, erhielt ich auch viele hasserfüllte Kommentare. Man drohte mir sogar mit Gewalt und Tod. Das war beängstigend und herausfordernd, aber ich habe mich nicht einschüchtern lassen. Trotz der Herausforderungen und Bedrohungen glaube ich, dass Aufklärung und Zusammenhalt unerlässlich sind, um positive Veränderungen zu bewirken.
Wie hat sich die Situation für queere Menschen seit der Machtübernahme der Taliban verändert?
Mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat sich die Situation für queere Menschen dramatisch verschlechtert. Die neuen Machthaber haben ein repressives Regime errichtet, das jede Form von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität unterdrückt. Seit ihrer Machtübernahme haben die Taliban nicht nur alle nationalen und internationalen Gesetze ausser Kraft gesetzt, sondern auch Frauen entrechtet. Mädchen dürfen mit zwölf Jahren nicht mehr zur Schule oder etwas erlernen, die Zahl der Kinder-Zwangsehen ist massiv gestiegen. Zivilgesellschaftliche Aktivisten werden durch Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen zum Schweigen gebracht. Es gibt Berichte von homosexuellen Menschen, die in Gefängnissen gefoltert und schwer misshandelt wurden.
Free Kabul: An der ersten LGBTQ Pride of Afghanistan am 26. August 2023 in Bremen, organisiert
von der Rainbow Afghanistan Organization.
Gibt es in Afghanistan noch eine queere Community, die sich für die Rechte von LGBTQ*-Menschen einsetzt, trotz der repressiven Herrschaft der Taliban?
Ja, es gibt tatsächlich eine Reihe von aktiven LGBTQ*-Personen in Afghanistan, die sich auch weiterhin für die Rechte von queeren Menschen einsetzen. Ihre Aktivitäten sind jedoch äusserst vorsichtig und gut versteckt, um sich vor den Häschern des Taliban-Regimes zu schützen. Diese Aktivisten nutzen vorwiegend Fake-Seiten und anonymisierte Profile in sozialen Medien, um ihre Arbeit fortzusetzen. Da der Taliban-Geheimdienst intensiv nach LGBTQ*-Personen sucht, müssen sie äusserst auf ihre Sicherheit achten.
Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um die queere Community zu unterstützen?
Seit der Machtübernahme der Taliban und dem Beginn der intensiven Unterdrückung und Bestrafung von LGBTQ* in Afghanistan haben die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft und der Vereinten Nationen kaum Fortschritte gezeigt. Erstens wäre es entscheidend, dass internationale Organisationen und Regierungen gezielte Aufmerksamkeit auf die Situation von LGBTQ*-Personen in Afghanistan richten. Das umfasst das Sichtbarmachen der Menschenrechtsverletzungen und die Unterstützung von flüchtenden oder gefährdeten Personen.
Du hast die Rainbow Afghanistan Organization gegründet. Kannst du uns erläutern, was genau die Organisation macht und wie sie queere Menschen in Afghanistan unterstützt?
Die Rainbow Afghanistan Organization wurde im Mai 2022 gegründet, nachdem ich Afghanistan zusammen mit einer Gruppe von afghanischen queeren Personen verlassen hatte.
Erstens konzentrieren wir uns auf die Sensibilisierung für die Rechte von LGBTQ*-Personen. Unser Ziel ist es, die Rechte und Freiheiten der oft vergessenen und unterdrückten LGBTQ*-Gemeinschaft in Afghanistan zu fördern und zu verteidigen.
Zweitens arbeiten wir an der Vorbereitung und Untersuchung von Berichten über Menschenrechtsverletzungen und die Situation von LGBTQ*-Personen in Afghanistan. Wir verfolgen und dokumentieren sorgfältig Fälle von Menschenrechtsverletzungen, um auf diese aufmerksam zu machen und entsprechende Massnahmen einzuleiten.
Weiter bieten wir verschiedene Schulungen an, um Menschen darin zu unterrichten, wie sie Gewaltfälle aufdecken und sich schützen können.
Unser drittes Ziel ist es, Länder, die LGBTQ*-Rechte unterstützen, sowie Hilfsorganisationen auf die prekäre Situation von LGBTQ*-Personen in Afghanistan aufmerksam zu machen. Wir arbeiten daran, internationale Unterstützung zu mobilisieren, um LGBTQ*-Personen in Afghanistan zu retten und humanitäre Hilfe bereitzustellen. Dies beinhaltet das Anregen von Massnahmen zur Rettung und Unterstützung sowie die Bereitstellung von Ressourcen und Hilfe für die Betroffenen.
Nie ohne Kajal: Queerfeindliche Kämpfer der Taliban.
Wie reagieren internationale Organisationen und Länder auf Ihre Bemühungen?
Die Reaktionen sind gemischt. Einige Länder und Organisationen haben unsere Anliegen unterstützt und sich aktiv für die Rechte von LGBTQ*-Personen in Afghanistan eingesetzt. Andere sind noch zögerlich oder haben begrenzte Ressourcen für solche humanitären Massnahmen. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, die internationale Gemeinschaft auf die Dringlichkeit der Lage aufmerksam zu machen und sie zu konkreten Handlungen zu bewegen.