Identität, Verwandlung und Selbstfindung: Ein Gespräch mit dem Theaterregisseur Bastian Kraft, der «Die kleine Meerjungfrau» in Zürich mit prominenten Schweizer Drags inszeniert.
Von Christian Gersbacher | Bilder Stella by Select Fotostudio
Bastian Kraft zählt zu den renommiertesten Theaterregisseuren seiner Generation. Mit seinen Inszenierungen gelingt es ihm, klassische Stücke neu zu interpretieren und dabei persönliche und gesellschaftliche Themen zu beleuchten. 2023 wurde er für seine Arbeit mit dem Theaterpreis Hamburg ausgezeichnet.
Demnächst bringt er seine Neuinszenierung von «Die kleine Meerjungfrau» am Schauspielhaus Zürich auf die Bühne – ein Stück, das er mit einer queeren Perspektive aufgeladen hat, ohne dabei den universellen Zauber des Märchens zu verlieren.
In Hans Christian Andersens Märchen steht die Verwandlung im Mittelpunkt. Bastian sieht Parallelen zwischen Andersens Geschichte und den Lebenswegen queerer Menschen, die das Spiel mit
Geschlechterrollen als kreativen Akt der Befreiung und des Selbstausdrucks zelebrieren. Dabei bewegen sie sich gekonnt zwischen künstlerischer Selbstinszenierung und kraftvollem Statement für Vielfalt und Subkultur.
Im Interview mit DISPLAY spricht Bastian über seine frühen Theater-Erfahrungen, die Bedeutung von Verwandlung auf der Bühne und im Leben sowie die Darstellung queerer Themen im Theater. Er gibt Ein-blicke in seine persönliche Verbindung zur Geschichte der Meerjungfrau und erzählt, warum Drag-Kunst und queere Sichtbarkeit für ihn Herzensangelegenheiten sind.
«Ich identifiziere mich mit der Meerjungfrau, die stumm ist. Viele queere Menschen kennen dieses Gefühl, nicht sprechen zu können oder nicht gehört zu werden»
DISPLAY: Bastian, wie bist du eigentlich zum Theater gekommen? Gab es eine Inspiration, die dich auf diesen Weg gebracht hat?
Bastian Kraft: Ich gehöre zu den Glücklichen, die nicht lange suchen mussten. Für mich war immer klar, dass Theater meine Welt ist. Angefangen hat es mit Theatergruppen in der Schule, als ich etwa 14 Jahre alt war. Mit 16 habe ich ein Praktikum am Theater gemacht, und spätestens da wusste ich, dass ich in dieser Welt arbeiten möchte. Interessanterweise bin ich auf dem Land aufgewachsen, wo es kaum Theater gab. Trotzdem war da diese Faszination, sobald ich davon gehört hatte. Es gab nie einen Zweifel, dass ich da hingehöre. Und dann hat es während des Studiums noch ein bisschen gedauert, bis ich wusste, dass Regie genau das Richtige für mich ist.
Aktuell inszenierst du «Die kleine Meerjungfrau» am Schauspielhaus. Was hat dich daran gereizt?
Es ist ein klassisches Märchen, das viele Menschen kennen und lieben. Mich hat es als Kind wahnsinnig beschäftigt, und später habe ich gemerkt, dass es auch viele andere queere Menschen tief berührt. In der Sehnsucht der Meerjungfrau, eine Liebe leben zu können, die gegen jede Konvention verstösst, spiegelt sich eine queere Lebenserfahrung. Hans Christian Andersen, der Autor der Geschichte, war heimlich in seinen besten Freund Edvard verliebt und verarbeitete diese unglückliche und unsagbare Liebe im Märchen von der Meerjungfrau. Diese schmerzhaften Aspekte sollen in unserer Inszenierung genauso Raum bekommen wie die Feier von queerem Selbstbewusstsein.
Verwandlung ist ein zentrales Thema des Stücks. Was bedeutet Verwandlung für dich persönlich?
Verwandlung bedeutet für mich vor allem, sich selbst immer wieder neu erfinden zu können. Theater lebt ja vom Spiel mit Identitäten. Ich glaube, Identität ist nie starr, sondern immer etwas Fluides, Schimmerndes. Je nach Kontext spiele ich im Leben sehr unterschiedliche Rollen, und kann dabei trotzdem immer authentisch sein. Das gilt natürlich auch ganz stark dafür, wie ich meine Geschlechtlichkeit inszeniere und auslebe. Heute will ich vielleicht männlicher auftreten und morgen weiblicher, das ist allein meine Sache. Und der spielerische Umgang mit diesen Kategorien kann wahnsinnig befreiend sein.
Bringst du deshalb drei Drag-Künstler*innen auf die Bühne?
Ja genau. Drag ist dazu prädestiniert, die Magie der Verwandlung als lustvolles Spektakel zu inszenieren. Dabei gehen Künstlichkeit und Authentizität eine faszinierende Allianz ein. Denn oft wird die Person auf der Bühne umso verletzlicher, je mehr Schminke, Kunsthaar und Glitzer sie trägt. Drag ist dadurch neben der politischen Dimension eine Möglichkeit, Identität zu erforschen und neu zu erfinden.
Was war deine prägendste Verwandlung?
Wahrscheinlich der Schritt, mit 18 von zu Hause auszuziehen und dann in einer anderen Stadt offen schwul zu leben. Während meiner Schulzeit wollte ich mich nie outen, obwohl ich schon mit 13 wusste, dass ich schwul bin. Aus Selbstschutz habe ich fünf Jahre lang mit keinem Menschen darüber gesprochen. Dann eine Stimme für diesen Teil meines Ichs zu finden und es endlich auszusprechen, war ein riesiger Einschnitt in meinem Leben. Ich identifiziere mich deshalb mit der Meerjungfrau, die ebenfalls stumm ist. Viele queere Menschen kennen dieses Gefühl, nicht sprechen zu können oder nicht gehört zu werden.
Deine eigene queere Identität spielt also auch in deine Arbeit mit hinein?
Auf jeden Fall, auch wenn es nie nur um mich geht. Theater ist subjektiv, und ich gehe von dem aus, was mich berührt. Die kleine Meerjungfrau ist ein gutes Beispiel dafür, dass ich eine queere Perspektive ins Zentrum stelle, dabei aber auch Menschen mit ganz anderem biografischen Hintergrund erreichen will. Das Gefühl, nicht dazuzugehören ist schliesslich universell, ebenso wie das Gefühl der Sprachlosigkeit. Gute Geschichten bieten die Möglichkeit, dass wir uns gegenseitig besser verstehen. Wenn nicht-queere Menschen sich offen mit unserer Lebensrealität auseinandersetzen, bauen wir Mauern ab. Gleichzeitig ist es mir ein riesiges Anliegen, dass sich queere Menschen im Theater gesehen fühlen und mit gestärktem Selbstbewusstsein aus der Vorstellung heraus gehen.
Wie beurteilst du die Repräsentation queerer Themen im Theater?
Das hat sich in den letzten Jahren schon verbessert, vor allem auf grossen Bühnen. Zu Beginn meiner Karriere waren queere Themen oft auf kleinere Bühnen beschränkt. Trotzdem gibt es immer noch blinde Flecken, vor allem bei komplexeren, nicht-normativen queeren Lebensrealitäten. Das Theater ist queerfreundlich, aber oft nur, solange queere Figuren in cis-geschlechtlichen, monogamen Beziehungen auftreten. Sobald es komplexer wird oder alternative Lebensformen gezeigt werden, stossen wir an Grenzen.
Zum Schluss: Welche Projekte und Themen möchtest du in Zukunft umsetzen?
Die Verbindung von Drag und Theater fasziniert mich, und ich möchte das weiter erforschen. Ausserdem liegt mir die Sichtbarkeit von lesbischen Geschichten, Drag Kings und non-binären sowie trans Personen am Herzen. Da gibt es noch viel zu tun, und ich sehe auch mich selbst in der Pflicht, hier aktiver zu werden.
Nixe on Stage
Schauspielhaus Zürich zeigt: «Die kleine Meerjungfrau – A fluid fairy Fantasy» nach Hans Christian Andersen, inszeniert von Bastian Kraft. Mit Elias Arens, Klamydia von Karma, Sasha Melroch, Julian Greis, Paprika, Ivy Monteiro und Karin Pfammater.
Die Premiere ist am 25. Januar 2025.
Drags auf der Pfauen-Bühne
Im Schauspielhaus treten prominente Schweizer Drags auf.
Paprika: Im bürgerlichen Leben bekannt als Michel von Känel ist er Lehrer an der Oberstufe. Daneben tritt er als Dragqueen Paprika vor Publikum auf und ist queerfeministisch aktiv.
Klamydia von Karma: Anis Meschichi forscht an der ETH Zürich und hat franko-tunesische Wurzeln. Als Klamydia von Karma gewann sie 2023 das Heaven Drag Race.
Ivy Monteiro: Die afro-brasilianische Künstlerin und Aktivistin lebt in Zürich und gilt als Mitbegründerin der Schweizer Ballroom- und Voguing-Szene.