Höfliches Liebeswerben im Kaffee-Truck

«The Boyfriend»: Eine ziemlich nette Dating-Show made in Japan. Ein Tipp für alle, die die liebeswilligen Jungs bisher verpasst haben.

Von Dieter Osswald

Eine Kuppelshow ohne Gezicke, Gezeter und Getue? Ohne gängige Gockel-Auftritte, inszenierte Peinlichkeiten und die üblichen Fake-Feelings? In Japan geht das! Mit einem ziemlich freundlichen Konzept fürs Dating-Genre. Nett gewinnt! 

In der zehnteiligen Netflix-Show «The Boyfriend» ziehen neun junge Männer für einen Monat in ein Haus, um zusammen einen Kaffee-Truck zu betreiben – und nach dem potenziellen Partner Ausschau zu halten. Ein Quantensprung für queeres Leben im Kaiserreich, denn das spielt in den dortigen Medien bislang kaum eine Rolle. Und findet im realen Leben vielfach unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

«Greenroom» nennt sich das lauschige Strand-Domizil am Rande von Tokio, ein Name aus der Surfer-Sprache für jene Welle, die beim Brechen eine hohle Röhre bildet. Als schwule Wellenreiter treten an: Dai (22), Taeheon (34), Ryota (28), Gensei (34), Shun (23). Ergänzt wird das Quintett später von Koch Kazuto (27), dem bekannten Bodybuilder Usak (37) sowie dem Nachzügler Alan (29). 

Höfliche Baristas

Gemeinsam basteln die Jungs an einem Namen des neuen Unternehmens. «Brewtiful U» soll der lindgrüne Kaffee-Truck fortan heissen – die wortverspielte Idee stammt aus einer Antwort von KI! Für die Schichten sieht der Dienstplan vor, dass täglich zwei Kandidaten gemeinsam den Kaffee kochen. Wer mit wem auf Tour geht, das entscheidet der Fahrer, der seinen Partner auswählt. Umsatz machen ist wichtig, weil die Kaffeekasse entscheidend für den Lebensunterhalt in der Villa ist. Die tägliche Protein-Ration mit Hühnerfleisch-Drinks für Bodybuilder Usak erweist sich schnell als zu teuer und sorgt für Streit – der hier freilich ausgesprochen freundlich ausgetragen wird. 

Die umwerfende Art der Höflichkeit fällt von Anfang an angenehm aus. Mit kleinen Verbeugungen stellen sich die Japaner vor. Nettigkeiten stehen auf der Tagesordnung, Rücksichtslosigkeiten sucht man vergeblich. Dazu passt die erste Tagesaufgabe, bei der jeder einem anderen einen anonymen Brief schreiben soll, der vor dessen Zimmer deponiert wird. Die Nervosität am Morgen danach ist gross, tatsächlich bleiben manche Briefkästen leer, während andere gleich dreifache Verehrerpost vorfinden. 

Kommentiert wird das Geschehen von einem fünfköpfigen Panel im Studio, darunter Drag Queen Durian Lollobrigida, die zunächst ohne Maske und Kostüm auftritt. Sowie Schauspielerin Megumi, Influencerin Thelma Aoyama oder Comedian Yoshimi Tokui. Von ihnen werden die Akteure brühwarm bewertet und Prognosen über potenzielle Boyfriend-Chancen gestellt. «Passt» heisst das einstimmige Jury-Urteil über Ryota und Gensei, die sich bei der ersten Kaffee-Fahrt ein bisschen näherkommen. 

Am nächsten Tag werden die Tour-Karten neu gemischt. Nun hat Dai die Partnerwahl, die auf den schüchternen Shun fällt. Der wird freilich am Tag drei auch von Taeheon nominiert. Derweil am Tag vier Dai von Gensei ausgesucht wird. 

Sensibler Muskelmann

Das tägliche Bäumchen wechsel dich-Spiel zwischen Milchschaum und Latte legt zunehmend die Sympathien der Bewohner offen. Die zunächst vielleicht verwirrend wirkenden Namen werden erstaunlich schnell vertraut. Kleine Geschichten aus dem Nähkästchen bringen die Figuren näher. «Bei zu viel Muskeln fühle mich eingeschüchtert. Ein kleiner Bauch gefällt mir besser», kommentiert Ryota den gemeinsamen Strandbesuch, bei dem diverse Sixpacks bewundert werden. Unschlagbar in dieser Kategorie ist natürlich Bodybuilder Usak, der als berühmter Go-Go-Tänzer sein Geld verdient. Ausgerechnet dieser Muskelprotz entpuppt sich als sensibler Mensch, der mit den Erwartungshaltungen seiner Umgebung zu kämpfen hat und sich um seine wahre Identität sorgt. 

Den schüchternen Eye-Catcher Shun plagen derweil ganz andere Probleme. Kaum hat er auf dem Smartphone von seinem heftigen Schwarm Dai dessen freizügige Fotos entdeckt, ist Schluss mit Flirten. Denn Sex-Bilder erinnern Shun an seinen Ex, von dem er sich noch immer traumatisiert fühlt. 

Am Morgen danach wird man gespannt sein, wen Shun als Partner für die Kaffee-Tour auswählt. Noch mehr Dynamik ins Liebeskarussell bringt Neuzugang Alan aus Osaka, der offensichtlich Usak und Dai bereits gut beziehungsweise sehr gut kennt. Und dann ist da ja noch die Frage der Briefchen vom Auftakt. Wer hat da wem geschrieben? Wie viel von der Liebe auf den ersten Blick ist mittlerweile noch geblieben?

Empathie statt Intrigen

Das Konzept dieser japanischen Date-Show überzeugt durch den Verzicht auf das sonst übliche Zickentheater samt Strippenziehereien aus dem Regie-Raum. Stattdessen dominiert eine umwerfende Höflichkeit unter dem Neunett charmanter Kandidaten jenseits der Klischeekiste. Erstaunlich ehrlich und offen, zumal für japanische Befindlichkeiten, reden die Sympathieträger über Selbstwertgefühle, Ängste und Hoffnungen. Und wenn reden nicht hilft, tischt Koch Kozuto eben ein verlockendes Mahl auf. Weil das Auge mitisst, dürfen die halbnackten Körper bei fröhlichen Balgereien am Strand oder in der hauseigenen Sauna präsentiert werden.

«The Boyfriend» bietet nicht nur eine unterhaltsame Show mit Empathie-Potenzial fürs Publikum. Sondern betritt zudem wichtiges Neuland für die japanische Medienszene. Immerhin ist das Land der einzige G7-Staat, in dem die gleichgeschlechtliche Ehe noch nicht legalisiert ist. 

Regie-Ikonen haben das Thema derweil gleichfalls entdeckt. Ob Takeshi Kitano mit seinem schwulen Samurai-Spektakel «Kubi» oder Hirokazu Koreeda, der für sein Jugenddrama «Monster» in Cannes die Queer Palm bekam.