Zurück im Live-Moment: Lo & Leduc touren nach einer langen Durststrecke mit ihrem neuen Album «Mercato» durch die Schweiz. DISPLAY sprach mit den Berner Musikern über Krieg und Flüchtlingselend, Diversität, neue Musik und ihren Umgang mit gesellschaftlichen Problemen.
Interview Marco Schättin
DISPLAY hat Lo & Leduc per Videocall gesprochen. Erste Frage ist in jedem Videocall: Könnt ihr mich hören?
(Lo lacht) Wunderbar…, du uns? Zweite Videocall-Frage. Könnt ihr euren Screen teilen?
Lo: Wenn ich jetzt meinen Handy-Screen teile, siehst du eine E-Mail mit einem Link zu unserem Online-Meeting. Und eine Chatnachricht von unserem Booker, der mich mahnt, vorsichtig zu sein: Nach wie vor seien sehr viele Leute mit Corona angesteckt. Eine Ansteckung während unserer «Mercato»-Tour wäre suboptimal. Verständlich. Aber ihr seht fit aus.
Wie steht ihr heute zu Videocalls?
Leduc: Ich habe keine grundsätzliche Aversion gegen Videocalls. Häufig sind sie praktisch. Aber es passiert schon nicht dasselbe wie in einem effektiven Live-Gespräch.
Lo: Ich finde Videocalls grossartig und habe ein entspanntes Verhältnis dazu. Positiv finde ich, dass Videocalls zu einem Umdenken geführt haben: Unternehmen überlegen sich nun zweimal, ob man für ein Meeting den Flieger nimmt.

Nach langer Durststrecke gibt’s euch nun wieder live. Wie fühlt ihr euch?
Lo: Wir sind froh – schliesslich waren Konzerte lange Zeit nicht möglich. Ich spüre aber auch Nervosität. Vor der Pandemie hatten wir eine enorme Konzert-Routine.
Leduc: Genau, dieser Rhythmus ist weg. Unsere Bühnenrollen müssen wir erst wieder füllen und dazufinden. Ungeheuerlicher Angriffskrieg Der «Mercato» ist ein diverser Ort.
Die Songs darauf sind vielfältig. Was bedeuten euch Diversität und Vielfalt?
Lo (denkt nach und spricht dann überlegt): Diversität ist Realität beziehungsweise Realität ist unfassbar divers. Eine komplexe Sache. Ich finde es toll, dass sie in den letzten Jahren bei uns in Westeuropa sichtbarer wurde. Und trotzdem ist es nach wie vor ein Prozess, in dem sich auch weisse cis Männer hinterfragen sollten…
A propos cis Männer: Ein solcher sorgt gerade für den Ukraine-Krieg. Wie denkt ihr darüber?
Leduc: Man fragt sich, wie es zu diesem ungeheuerlichen Angriffskrieg auf die Ukraine kommen konnte. Das toxische Narrativ, der demokratische Westen zerfalle aufgrund seiner liberalen Prinzipien der Offenheit und Toleranz, ist jedenfalls grundfalsch. Vielfalt und Inklusion machen eine Gesellschaft nicht schwach, sondern stärken sie.
Lo: Ich empfinde diesen Überfall als zutiefst erschütternd. Es zeigt sich, wie fragil der Zustand von Sicherheit und Frieden ist – auch in Europa. Vom aktuellen Weltgeschehen zu eurem Musikschaffen. 2009 habt ihr erste Songs zuhause aufgenommen und diese veröffentlicht.
Wie muss ich mir das vorstellen?
Lo: Dazumal haben wir im Schlafzimmer eines Freundes ein Mikrofon aufgestellt und eine Bettdecke um uns gehüllt. Das war unsere Aufnahmekabine. Im Raum nebenan stand ein Computer, der als Mischpult diente. Sehr simpel.
Was ist der Unterschied zu den Aufnahmen von heute?
Leduc: Nebst der Technik die Erfahrung. Unter dem Strich arbeiten wir aber immer noch ähnlich, man ist heute nicht mehr für alle Arbeitsschritte auf riesige Studios angewiesen. Der Hauptunterschied ist wohl die fehlende Bettdecke über dem Kopf!
Euer Album «Mercato» ist im März auf Platz 2 der Schweizer Hitparade eingestiegen (Patent Ochsners MTV Unplugged Album auf Platz 1). Wie wichtig sind euch solche Zahlen?
Lo: Diese Zahlen werden immer relativer, da sich der Musikmarkt stark verändert. CD-Verkäufe sind seit Jahren stark rückläufig. Die Streaming-Zahlen hingegen wachsen stark, können aber die finanziellen Verluste nicht ausgleichen. Es geht nur noch um die Frage, ob man die Ausgaben für die Album-Produktion kompensieren kann. Die Zahlen sagen aber nichts über die Qualität der Musik aus.
Im Lockdown musste ich oft an euer Konzert am Gurtenfestival 2019 denken. Es war eines meiner letzten grossen Konzerterlebnissen vor der Pandemie. Wie ging es euch während der konzertfreien Zeit?
Lo: Gerade das Gurtenkonzert wurde zu etwas Absurdem. 2020 war es fast unvorstellbar, so etwas wieder zu erleben. Letztes Jahr kam dann das Gefühl für Live-Erlebnisse langsam zurück. Und dazu kam auch eine Dankbarkeit für solche Events. Als Künstler lebt ihr von Live-Konzerten.
Was habt ihr gemacht, um die Hoffnung nicht zu verlieren?
Lo: Wir hatten grosse Erwerbsausfälle, hatten aber einige gute Jahre vor der Pandemie. Daher waren wir in der privilegierten Situation, nicht sofort existenziell bedroht zu sein. Psychisch war es schwieriger: Ich empfand die Planungsunsicherheit als anstrengend. Meine Partnerin war da eine enorme Unterstützung für mich.
In «Rosé & Benzin» besingt ihr Kinder und Grosskinder. Wie steht ihr dazu?
Lo: Ich bin über 30 – meine Freundin auch. Wir haben noch keine Kinder, aber es ist ein Thema.
Leduc: Da sind wir an einem ähnlichen Punkt. Das mit den Grosskindern geht noch einen Moment (lacht).

Allys der Community
Ihr besingt im Song auch gleiche Rechte. Was denkt ihr über den Fakt, dass queere Menschen in der Schweiz ab 1. Juli heiraten können?
Lo: Es ist absurd und peinlich, dass die Ehe für alle erst jetzt möglich ist. Das war vorher hart diskriminierend. Dasselbe empfand ich übrigens, als wir letztes Jahr 50 Jahre Frauenstimmrecht feierten. Das ist keine Feier, sondern ein Gedenken. Ein Gedenken daran, wie scheisse es vorher war.
Leduc: Und wieviel es auch heute noch zu tun gibt.
Auftritt an der Zurich Pride? Wart ihr schon mal an einer Pride?
Lo: Ja, wir waren an der letzten Zurich Pride bei Musikerkollege Dodo auf der Bühne. Vor dem Auftritt mischte ich mich allein unter die Menschen und genoss die schöne Stimmung.
Leduc: So ein wertvoller Abend! Es regnete unfassbar stark, aber das konnte die grossartige Stimmung nicht trüben.
Das Motto der Zurich Pride 2022 ist «trans – vielfalt leben». Wie realistisch ist es, dass wir euch an der Pride-Demo sehen?
Lo: Wenn ich dann nicht arbeite, gehe ich an die Zurich Pride.
Und auf der Bühne?
Leduc: Cool, in diesem Fall wären wir sogar dort, während wir arbeiten! Engagiert für Flüchtlinge
An Konzerten postuliert ihr immer: «Kein Mensch ist illegal». Auch im Song «Melodie» geht es um Migration. Warum geht euch das Thema nahe?
Leduc: Meine Eltern haben mich glücklicherweise für soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sensibilisiert. Die Frage sollte eher sein, warum das Thema uns als Gesellschaft nicht noch viel näher geht.
Lo: Als Kind habe ich die Kraft des Satzes «kein Mensch ist illegal» nicht begriffen. Die Aussage klingt für manche Ohren klischiert und gleichzeitig ist genau das der Skandal – denn die Ungleichbehandlung von Menschen ist nach wie vor real und unter Umständen tödlich – man muss sich vor Augen führen, wie viele Menschen in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken sind. Die Verantwortung dafür trägt Europa.
Auch in Songs wie «Wär simer wemer säge mir» geht es um gesellschaftliche Herausforderungen. Wie stark beschäftigen euch diese Themen im Alltag?
Lo: Da Sprache mein Werkzeug und Beruf ist, beschäftigen mich gesellschaftspolitische Themen auf sprachlicher wie inhaltlicher Ebene jeden Tag. Als Privatperson lebe ich gesellschaftliche Herausforderungen etwa in meiner Beziehung. In Konflikten werde ich gespiegelt und hinterfrage meine Sozialisierung oder Rollenbilder, die mir vermittelt wurden. Eines der Hauptthemen in unserer westlichen Welt ist aktuell die psychische Gesundheit.
Macht ihr etwas, um euch mental fit zu halten?
Lo: Definitiv: Meine Freundin ist doktorierte Psychologin. Allein schon deshalb ist psychische Gesundheit ein
Thema. Ich gehe selbst zu einer Psychotherapeutin und würde allen empfehlen, das einmal auszuprobieren – auch wenn man gerade kein akutes Problem hat. Klar ist das ein Privileg, denn nicht jede Krankenkasse übernimmt die Kosten für Psychotherapie.
Lo & Leduc – unser Videocall ging ganz ohne Unterbrüche über die Bühne.
Das Schlusswort lassen wir euch.
Lo: Es ist schön, dass sich Menschen für das, was wir machen, interessieren.
Lo & Leduc – seit 2014 im Schweizer Pop-Olymp
Ihr erstes Album haben Lo & Leduc 2009 zuhause aufgenommen. 2014 schafften sie mit «Zucker fürs Volk» den Druchbruch. «Mercato» , das neuste Werk von Lo (35) & Leduc (33), ist im Februar 2022 erschienen. Auf «Mercato» liefern die Berner mit «Tribut» eingängige Hits, mit «Häreta» kreative Rap-Songs und «Melodie» melancholische Mundartlieder.
Aktuell touren Lo & Leduc durch die Schweiz:
Infos: http://lo-leduc.ch
