Den Ausdruck Wahlkampf findet Johannes Sieber zu wenig spielerisch. Trotzdem nutzt er die Gelegenheit, auf seine Herzensthemen aufmerksam zu machen: Der 48-Jährige kandidiert für den Nationalrat – nach zweieinhalb Jahren als GLP-Grossrat von Basel-Stadt. Ein rastloser Ehrgeizling?
Portrait Marcel Friedli-Schwarz
Johannes Sieber ist zurück. Wieder zurück in der Stadt, in Basel. In seiner Stadt, die er mitgestaltet. Nach Ferien in Lyon. «In der Nähe von Lyon, auf dem Land», präzisiert er, «ich habe mich wunderbar entspannt.» So hat Johannes Distanz zum Basler Geschehen gewonnen.
Umpolungs-Therapien verbieten
Doch kaum war er zurück, ging’s gleich los: Johannes, der seit gut zwei Jahren Grossrat ist, trabt in Bundesbern an, um mit einer Basler Kollegin und zwei Luzerner Vertretern der Rechtskommission des Ständerates darzulegen, weshalb Umpolungstherapien (Konversionstherapien) verboten gehören.
«Ernüchternd gelaufen», sagt er. «Die Mitglieder der Kommission waren mässig interessiert, stellten nur zwei Fragen. Wir mussten lange warten, bis wir endlich an der Reihe waren. Für zwölf Minuten Redezeit.»
Das Resultat der Bemühungen: Die Kommission will die Ergebnisse zu einem Postulat mit ähnlichem Inhalt abwarten, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden – nur zwei Stimmen haben den Unterschied gemacht. Somit wird die Initiative der Kantone Basel-Stadt und Luzern nicht weiterbehandelt. «Formal stürzt meine Standesinitiative wohl bald ab», vermutet Johannes. «Doch immerhin haben wir unsere Argumente platzieren können. Ich bin überzeugt, dass wir damit zur richtigen Stossrichtung beigetragen haben. Hoffentlich profitiert die Initiative der Gesundheitskommission des Nationalrates mit demselben Anliegen davon.»
Johannes kennt auch die andere Seite: von seiner Tätigkeit in der Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates von Basel-Stadt (siehe Box rechts). Dann ist er es, der sich zig Referate anhört, um Traktandum um Traktandum abzuarbeiten. «Auch mir sind nicht alle Themen gleich nah.»
Nationalratsluft schnuppern
Trotz des frustrierenden Ergebnisses ist die Erfahrung für Johannes wertvoll. Diese Premiere ist wie Politluft-Schnuppern in Bundesbern. Denn: Dorthin will Johannes. «Nicht gleich in den Ständerat», sagt er mit einem Grinsen. Sondern: Er peilt den Nationalrat an.
Die Ausgangslage ist recht delikat. Basel-Stadt hat bei den Wahlen diesen Oktober nicht mehr auf fünf Sitze Anspruch, sondern nur noch auf vier. Das bedeutet: In Basel wird mindestens jemand abgewählt; allenfalls sogar Katja Christ, die GLP-Kollegin. «Als Newcomer sind meine Chancen klein. An alleroberster Stelle steht für uns, den Sitz in Bern zu halten. Mein eigenes Resultat ist sekundär. Es ist indes wichtig für meine persönliche politische Laufbahn.» Damit schiebt er DISPLAY einen Steilpass fürs Gespräch zu:
DISPLAY: Johannes, bist du ehrgeizig?
Johannes Sieber: (lacht) Ich bin ehrgeizig, das stimmt. Zudem arbeite ich gerne. Ich stecke viel Energie in die Dinge, die ich anpacke. Dass ich einen Platz auf der Hauptliste unserer Partei habe, verstehe ich als Bestätigung, dass ich als aktive politische Person wahrgenommen werde.
Rechnest du dir Chancen aus, gewählt zu werden?
Das wäre eine Überraschung. Mit einem guten Resultat jedoch wäre ich der erste, der allenfalls nachrücken würde.
Deine Chancen sind klein.
Grossrat geworden bin ich ja so: Als Kulturunternehmer gab es für mich während Corona nicht viel zu tun. Also sagte ich mir: Wenn nicht jetzt, wann dann kandidieren? Ich wollte nicht vier Jahre lang warten. Dass ich gleich gewählt wurde, hat mich selber überrascht.
Also Lust auf Wahlkampf?
Ich würde nicht von Kampf sprechen. Ich sehe es eher als Gelegenheit, Themen auszuwählen und kundzutun, also als inhaltliches Arbeiten. Das ist immer eine lebendige Zeit, das mag ich. Bei passenden Gelegenheiten mischle ich gerne mit. Ich sehe es eher spielerisch.
Bist du rastlos?
Meiner Meinung nach nicht. Ich versuche, immer wieder alles aus der Distanz anzuschauen und überlege mir gut, welchen Herausforderungen ich mich stellen will. Ich versuche zu reduzieren und den Fokus bewusst zu wählen – so, dass ich auch noch Freizeit habe.
Das erstaunt, denn du bist als Grossrat ziemlich aktiv – würdest du alles wieder gleich machen?
Nein. Ich habe am Anfang den Fehler begangen, mich gleich in der ersten Sitzung mit einem Herzensthema einzubringen: einer Interpellation zum Thema Gleichstellung, die auch auf queere Menschen ausgedehnt werden soll. Und gleich darauf habe ich mich dafür eingesetzt, dass Konversionstherapien verboten werden.
Aber das erwarten deine – auch vielen queeren –Wähler:innen.
Ja schon. Doch auf abstruse Argumentationen der Gegner:innen war ich nicht gefasst. Sie haben mich persönlich getroffen. Ich bin quasi mit offenem Visier in die politischen Auseinandersetzungen gezogen, weil ich so nahe am Thema bin.
Hat das zu einer Krise geführt?
Nein, keine Krise. Doch nach solchen Debatten war ich ziemlich auf den Felgen, sie kosteten mich Substanz. Ich bin jedoch bald wieder aufgestanden und habe gelernt, mehr Distanz zu pflegen. Im Nachhinein betrachtet wäre es vielleicht besser gewesen, mit einer politischen Fingerübung einzusteigen, die mir persönlich nicht so nahe geht.
Das wird dir helfen, falls es mit der Wahl in den Nationalrat doch klappt. Wie sähen deine Akzente aus?
Es wären dieselben Themen der Gesellschaftspolitik wie bereits jetzt. Zurzeit wirke ich im Hintergrund von Nationalrätin Katja Christ. Würde ich gewählt, wäre ich es, der unsere Themen einbringt. Letztlich ist es nicht so wichtig, wer von uns es auf den Nationalrats-Sessel schafft.
Johannes Sieber
Der 48-jährige Basler arbeitet als Kulturunternehmer und betreibt seit fast zwei Jahrzehnten die queere Kulturplattform
www.gaybasel.org. Seit Anfang 2021 ist er Grossrat des Kantons Basel-Stadt, womit ihm ein Coup gelungen ist. Gewählt zu werden, damit hat er selber nicht gerechnet.
Er ist Mitglied der Geschäftsprüfungskommission und engagiert sich im Parlament für etliche queere Themen wie Gleichstellung oder das Verbot von Konversionstherapien.
Es ist ihm wichtig, dass Ideen zusammen mit den Menschen entwickelt werden, weshalb er ein Fan von Runden Tischen ist. Auch setzt er sich ein für queergerechtes Altern, männliche Opfer von häuslicher Gewalt, für queere Flüchtlinge, für das adäquate Behandeln von LGBTIQ-Personen in Schulen und am Arbeitsplatz.
Johannes Sieber ist der Bruder des bekannten Sängers Adrian Sieber, der mit den Lovebugs die Schweiz 2009 am ESC in Moskau vertreten hat. Seit ein paar Jahren ist Johannes mit einem englisch-schweizerischen Doppelbürger zusammen, der nach Corona London verlassen hat, um Johannes näher zu sein.
▶ johannes-sieber.ch