Wie queerfriendly ist die Bundespräsidentin? DISPLAY-Interview mit Viola Amherd.
DISPLAY: Frau Bundespräsidentin, am 14. und 15. Juni feiert die Community an der Zurich Pride. Haben Sie einen Wunsch für diesen Anlass?
Viola Amherd: Ich wünsche Ihnen einen gelungenen und friedlichen Anlass, der die Vielfalt unserer Gesellschaft aufzeigt. Ich bin überzeugt: Vielfalt und Inklusion kommen nicht nur dem Einzelnen, sondern auch der Gesellschaft als Ganzes zugute.
Welches ist Ihre persönliche Botschaft an die Community?
In der Schweiz soll jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, mit Würde und Respekt behandelt werden. Als Demokratie stehen wir ein für die Achtung der Menschenrechte und für Gleichheit, Akzeptanz und die Freiheit, sich selbst zu sein.
Als Vorsteherin des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport haben Sie sich für die Stärkung von Frauenrechten und Diversity eingesetzt. Welche Massnahmen haben Sie ergriffen, um die Vielfalt innerhalb der Schweizer Armee zu verbessern?
Wichtig ist, das Wissen über Rechte und Pflichten, aber auch über Werte im militärischen Alltag zu verbreiten und Leadership mit Diversity Management zu erweitern. Das ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Diversität ist nicht nur ein generelles Ziel, sondern eine Notwendigkeit mit Blick auf Generationenwechsel, Fachkräftemangel und die stetig steigenden Anforderungen an Fähigkeiten in Organisationen, um der Zukunft sicherer zu begegnen. Das gilt auch für die Armee. In der Armee habe ich die Fachstelle Frauen in der Armee und Diversity (FiAD) ins Leben gerufen. Die Fachstelle FiAD entwickelt und setzt Massnahmen um, bietet Beratung und Unterstützung für Angehörige der Armee in allen Belangen der Diversität. Auch die Grundlagenarbeit und Studien, die durchgeführt werden, beispielsweise zu sexualisierter Gewalt und Diskriminierung in der Armee oder das Forschungsprojekt zu Unrecht an Homosexuellen in der Armee, welches die Vergangenheit dieser Organisation im Umgang mit Homosexualität untersucht, sind Massnahmen, die zu Verbesserungen führen müssen. Mehr zu wissen, besser zu verstehen, führt zu wirksamen Lösungen und zum Lernen in der Organisation.
Diskriminierung aufgrund sexueller Identität oder Orientierung hatte einst eine traurige Tradition in Offizierskreisen. Homosexualität galt gar als untragbar in der Armee. Dies hat sich in den letzten Jahren verändert, nicht zuletzt dank Ihrem Einsatz. Wie geht die Armee heute gegen Diskriminierungen vor und an welche Anlaufstellen können sich Betroffene wenden?
Die Armeeführung hat sich 2022 einstimmig für eine Kultur der Inklusion ausgesprochen. Sie hat sich auf den Weg gemacht, diese in ihrer Organisation umzusetzen. Eine Strategie wurde entwickelt, ein erster Massnahmenplan mit über 40 Massnahmen ist in Umsetzung, ein Folgemassnahmenplan in Erarbeitung. Das Denken und Handeln hat mit einer zusätzlichen Diversity/Inklusions-Perspektive Einzug gehalten und wird laufend weiter in die Prozesse und Struktur eingearbeitet. Das braucht Zeit. Es war mir aber klar, dass es Sofortmassnahmen braucht, um Angehörigen der Minderheiten in der Armee schnell, professionell, vertraulich und niederschwellig Unterstützung zu bieten. Zwei von mir 2022 geschaffene Stellen ergänzen die bereits bestehenden generellen Dienste: Bei der Fachstelle Frauen in der Armee und Diversity erhalten die Angehörigen der Miliz, des militärischen Berufskorps, die Angehörigen der militärischen Friedensförderungsdienste, sowie die zivilen Mitarbeitenden der Gruppe Verteidigung Beratung und Unterstützung, um ihre persönlichen Fragen zu klären, Konflikte im militärischen Alltag mit der Führung oder der Truppe zu lösen.
Die Unabhängige Vertrauensstelle der Armee (VSADA) wurde zeitgleich etabliert. Sie ist seit 2022 die Anlaufstelle für Angehörige der Armee oder deren Angehörige, die sich an eine Beratungsstelle ausserhalb der Armee wenden möchten. Unabhängig, vertraulich, persönlich.
«Die sexuelle Orientierung der Armeeangehörigen darf weder Rekrutierung, noch Beurteilungen, noch die militärische Laufbahn negativ beeinflussen»
Des Weiteren steht auch Queer Officers, der von der Armee anerkannte und geförderte Verein von und für die queeren Angehörigen der Armee, ein für Diversität, Inklusion und Gleichstellung in der Armee und vernetzt queere Armeeangehörige untereinander. Selbstverständlich können Angehörige der Armee stets mit ihren Vorgesetzten sprechen oder die weiteren Beratungsdienste der Armee kontaktieren: die Armeeseelsorge, den Psychologisch-Pädagogischen Dienst oder den Sozialdienst der Armee.
Haben Sie eine persönliche Botschaft an Menschen, die sich vor einem Coming-out in der Armee fürchten?
Ich wünsche mir, dass sich Armeeangehörige weder in der Armee noch sonst in der Gesellschaft vor einem Coming-out fürchten müssen. FiAD, die unabhängige Vertrauensstelle AdA und der Verein Queer Officers stehen für Informationen und Austausch zur Verfügung.
Wie bewerten Sie den Stand der Schweiz bezüglich der Rechte und Teilhabe von LGBTQ+ Personen in der Schweizer Armee?
Die rechtlichen Grundlagen sind klar: der Diskriminierungsschutz aus der Verfassung gilt auch für die Armee, die Wahrung der Menschenwürde und der Schutz der Persönlichkeit gilt auch im Militärdienst. Dennoch geht es darum, laufend den tatsächlichen Schutz vor Diskriminierung zu verbessern. Also nicht nur in Gesetzen, Verordnungen und Reglementen, sondern im militärischen Alltag und auch bei den Personalprozessen. Die sexuelle Orientierung der Armeeangehörigen darf weder Rekrutierung, noch Beurteilungen, noch die militärische Laufbahn negativ beeinflussen.
Die Militärdienstpflicht wird nach dem amtlich eingetragenen Geschlecht bestimmt. Es können sowohl trans Männer wie trans Frauen Militärdienst leisten. Ihnen stehen alle Funktionen offen. Über die Zuteilung zu einer konkreten Funktion entscheiden dann – wie bei allen Angehörigen der Armee – die Ergebnisse der diversen Rekrutierungstests. In der ersten Rekrutenschule 2024 haben wir zum Beispiel bereits zweistellige Zulassungszahlen für trans Menschen.
Der ideale Zustand der diversen und inklusiven Organisation ist noch nicht erreicht. Der Stand der Arbeiten, wie Massnahmenpläne, Diskurs auf den Führungsstufen, der Dialog über das
Thema stimmt zuversichtlich für die Zukunft mit kritischem Blick in die Gegenwart und Vergangenheit.
Wie soll der Bundesrat Ihrer Meinung nach die Akzeptanz von LGBTQ+ Personen in der Gesellschaft fördern?
Auf der einen Seite wird die Akzeptanz in der Schweiz via die rechtliche Gleichstellung gefördert. Mit der Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm, der vereinfachten Änderung des Geschlechtseintrags beim Zivilstandsamt sowie der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hat sich die Gleichstellung bereits verbessert. Auf der anderen Seite setzt sich die Schweiz für die Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität ein. Dies entspricht ihrem innen- und aussenpolitischen Engagement zur Stärkung der Menschenrechte.
Die Homo- und Transfeindlichkeit nimmt in der Schweiz nicht ab, im Gegenteil. Dies zeigen die neusten Zahlen zu Übergriffen, beispielsweise von Pink Cross. Woran kann dies liegen und was kann die Politik dagegen tun?
Der Bundesrat ist sich der Problematik «Hate Crimes» und Gewalt, insbesondere auch im Internet, bewusst. Für das Zusammenleben sind der Schutz und die Unterstützung aller gewaltbetroffenen Personen essenziell. Eine der Aufgaben des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung ist es, einen Nationalen Aktionsplan auszuarbeiten. Dieser Aktionsplan soll Massnahmen zur Unterstützung und zum Schutz von gewaltbetroffenen Personen aufzeigen sowie präventive Massnahmen zur Verminderung von Gewalt und feindlichen Einstellungen.