Der Schweizer Künstler Jérémy Rebord erlangte erstmals grosse Aufmerksamkeit bei der Jungkunst-Ausstellung in Winterthur 2021. Seine Arbeiten beschäftigen sich mit Themen wie Orientierung und Identität, wobei seine eigenen Erfahrungen als schwuler Mann eine zentrale Rolle spielen.
Jérémys Arbeiten zeichnen sich durch eine lebendige und oft provokante Auseinandersetzung mit Körperlichkeit, Identität und Orientierung aus. Seine Werke, die häufig auch nackte Körper und intime Szenen zeigen, bieten einen einzigartigen Blick auf menschliche Erfahrungen und Beziehungen, während sie gleichzeitig universelle Themen ansprechen.
DISPLAY hat Jérémy Rebord in seinem neuen Atelier in Zürich besucht, um mit ihm über seine aktuellen Werke und queere Themen in der Kunst zu sprechen.
DISPLAY: Jérémy, kannst du uns einen Einblick in deinen Werdegang als Künstler geben?
Jérémy Rebord: Die Freude und der Drang, mich bildnerisch auszudrücken, begleiten mich schon immer. Der kreative Prozess, bei dem etwas Inneres und Subjektives als Bild Gestalt annimmt, fasziniert mich. Beim Malen und Zeichnen tauche ich in das ein, was vor mir liegt – meine Hände und Augen übernehmen die Führung. Die Leinwand und mein Arbeitstisch sind für mich Orte ohne Einschränkungen, an denen ich intuitive Entscheidungen treffen kann. Während des Studiums in «Art Education» habe ich eine Leidenschaft für manuelle Drucktechniken entdeckt und habe viel in Druckwerkstätten gearbeitet.
Erst während der Corona-Pandemie habe ich mit der figurativen Malerei begonnen. In dieser Zeit entstanden die ersten Figuren meiner Serie «À la folie!», die ich bis heute weiterentwickle. Diese Serie durfte ich erstmals bei der Jungkunst in Winterthur ausstellen, und die positive Resonanz hat mich sehr überrascht. Erst danach entschied ich mich, meinem professionellen Kunstschaffen mehr Raum zu geben. Nach dem Studium wurde ich ins Förderprogramm der ZHdK «What’s Next_Project» aufgenommen und hatte so die Möglichkeit, an weiteren Ausstellungen und Kollaborationen teilzunehmen. Vieles ist überraschend passiert, und das schätze ich umso mehr.
Wie kamst du zu deiner heutigen Form der Kunst?
Meine aktuelle künstlerische Arbeit ist eine Momentaufnahme, da es mir wichtig ist, dass sie sich weiterentwickelt. Sie vereint formale und technische Interessen, die Freude am Arbeiten mit manuellen Techniken sowie persönliche Erfahrungen. Auch queere Themen und die Beziehungen zu Menschen und Objekten, die mich beeinflussen oder berühren, spielen eine wichtige Rolle. Figurative Malerei fasziniert mich, da sie stark mit dem Menschlichen verbunden ist. Ich suche nicht gezielt nach neuen Themen, sondern vertraue auf meinen kreativen Prozess und lasse neue Ideen zu. Oft arbeite ich an verschiedenen Orten, am liebsten draussen. Derzeit experimentiere ich gerne mit der Verbindung von Malerei und manuellen Druckverfahren.
Wie kam es dazu, dass du gesagt hast, du willst auch queere Themen thematisieren?
Queere Themen fliessen ganz natürlich in meine Arbeit ein, weil es ein Teil meiner Erfahrung und Identität ist. Da ich mich von subjektiven Empfindungen oder Interessen leiten lasse, finden diese Ausdruck in meinen Bildern. Mir ist es aber nicht wichtig, dass meine Kunst explizit als «queer» bezeichnet oder wahrgenommen wird. Viel wichtiger ist mir, dass sie eine authentische Sichtweise von mir vermittelt.
Wie beeinflusst deine queere Identität deine Kunst?
Zunächst passiert das unbewusst. Ich arbeite intuitiv und lasse mich treiben, dorthin, wo es mich reizt. Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass es kein Zufall ist, dass Themen wie Raum, Körper, Beziehungen und Orientierung in meinen Bildern auftauchen. Als schwuler Mann bin ich schon früh mit diesen Themen konfrontiert worden. Ich erlebte mein Coming-out als eine entscheidende Neuorientierung in meinem Leben, verbunden mit der Suche nach meinem Weg. Beim Gestalten denke ich selten bewusst darüber nach und sage mir: «Jérémy, jetzt machst du ein Bild über deine schwulen Erfahrungen.» Oft offenbart sich mir der tiefere Sinn oder die Bedeutung in meinen Bildern erst viel später – oder auch gar nie. Nicht alle Werke sind von meinem queeren Selbst geprägt. Vieles entsteht einfach durch das, was mich in meiner Umgebung bewegt oder mich künstlerisch reizt.
Wie setzt du dich in deinen Werken mit Fragen der Geschlechtsidentität und Sexualität auseinander?
Ein zentrales Thema meiner Arbeit ist das Phänomen der Orientierung, das sowohl Geschlechtsidentität als auch Sexualität umfasst, ohne sie direkt zu benennen. Für mich ist Orientierung ein kontinuierlicher Prozess, der unser Verhalten und unseren Körper beeinflusst. Wir orientieren uns ständig in Räumen und Umgebungen, die von gesellschaftlichen Normen und Strukturen geprägt sind. Interessant wird es, wenn diese Orientierung gestört wird – etwa durch Momente der Desorientierung, in denen uns plötzlich bewusst wird, wie sehr uns diese Normen lenken.
Meine Auseinandersetzung mit diesem Thema ist stark von der feministischen Autorin Sara Ahmed inspiriert. Sie beschreibt Orientierung und Desorientierung als zentrale Begriffe, um die Unterschiede zwischen Körpern und ihre Bewegungen im Raum zu erklären. Jede körperliche Haltung ist eine Bewegung zu etwas hin oder von etwas weg, und dieser Prozess formt unseren Körper und unser Erleben.
Der Körper reagiert unmittelbar auf seine Umgebung – etwa, wenn wir Gänsehaut bekommen, weil es kalt ist, oder wenn unser Herz schneller schlägt, wenn wir einer Person begegnen, die uns gefällt. Solche körperlichen Reaktionen auf Umgebungen und Begegnungen fliessen in meine künstlerische Auseinandersetzung mit Geschlechtsidentität und Sexualität ein.
Was bedeutet diese Auseinandersetzung bezogen auf queere Themen?
Im Kontext queerer Identität bedeutet das, dass Körper sich in einer Welt zurechtfinden müssen, die oft von einschränkenden Normen geprägt ist – ähnlich wie meine Figuren, die innerhalb der Grenzen des Bildrahmens agieren.
Einige meiner Figuren sind in diesen Strukturen gefangen und passen sich an, während andere sich ständig verändern oder ausgeschlossen fühlen.Wir leben in einer Welt, die stark von heteronormativen Strukturen und Erzählungen dominiert wird. Wer diesen Normen nicht entspricht, erlebt oft grössere Schwierigkeiten, sich zu orientieren.
Meine Figuren sind queere Körper, die versuchen, sich im Raum zu positionieren und auszubreiten. Sie nehmen ihre Andersartigkeit an und strahlen dabei ein paradoxes Selbstvertrauen aus, während sie sich durch und trotz der begrenzenden Strukturen bewegen.
Hast du selbst schon Erfahrungen mit Ablehnung gemacht oder dich als queere Person «anders» gefühlt?
Ja, ich denke, viele queere Menschen kennen das Gefühl, wenn man einen Raum betritt und ihn erst einmal «scannt», um zu beurteilen: Wie sicher ist dieser Raum für mich? Wie sehr kann ich mich hier als queere Person zeigen? Als schwuler Mann erlebe ich solche Momente zum Glück immer seltener. Das hat auch mit der wachsenden Sichtbarkeit von queeren Menschen in der Gesellschaft zu tun. Aber das ist nicht für alle die Realität – besonders für trans und nicht-binäre Personen, die oft noch stärker ausserhalb der gesellschaftlichen Normen stehen und sich in vielen Situationen mit Unsicherheit oder Ablehnung konfrontiert sehen.
Wie haben Publikum und Kritiker auf deine Arbeit reagiert, insbesondere im queeren Kontext?
Die Reaktionen waren vielfältig und sehr positiv. Ich schätze es, wenn durch meine Bilder Gespräche entstehen und Geschichten geteilt werden. Oft bin ich überrascht, wie unterschiedlich, aber dennoch oft treffend meine Bildwelten wahrgenommen werden. Das zeigt, wie ähnlich unsere gelebten Erfahrungen sein können und dass meine Arbeit möglicherweise universelle Themen oder Gefühle anspricht, die nicht direkt mit Queerness verknüpft sind – auch wenn viele meiner Zeichnungen nackte Männer darstellen. Es geht vielmehr um das Leben und menschliche Erfahrungen im Allgemeinen, und das scheint die Menschen auf unterschiedliche Weise zu berühren.
Kann Kunst dazu beitragen, gesellschaftliche Normen zu hinterfragen?
Kunst, besonders wenn sie mit mehrdeutigen Bildwelten arbeitet, hat die Kraft, Fragen aufzuwerfen. Solche Fragen können Diskussionen anstossen und zur Auseinandersetzung mit bestehenden Normen führen – im besten Fall sogar zu Veränderungen. Ich bin davon überzeugt, dass Kunst das Potenzial hat, Menschen auf einer emotionalen Ebene zu erreichen. Diese Emotionalität oder persönliche Betroffenheit ist oft der Schlüssel, um ein tieferes Verständnis für andere Lebenswelten zu entwickeln und eingefahrene Denkweisen zu hinterfragen.
Welche Projekte können wir in Zukunft von dir erwarten?
Im kommenden Jahr plane ich eine Ausstellung im Sommer in Martigny, auf die ich mich besonders freue, da es mein Heimatort ist. Derzeit habe ich gerade mein neues Atelier bezogen und werde mich dort kreativ austoben.
In den letzten Jahren wurde ich immer wieder positiv überrascht, wohin mich mein künstlerischer Weg geführt hat – insofern bin ich selbst gespannt, wie es weitergeht!
Webseite: jeremy-rebord.kleio.com