Kann denn Liebe Sünde sein?

«Im Schatten der Träume»: Schweizer Doku über schwulen Hitschreiber.

 

Sie haben die Musik zu mehr als 250 Filmen verfasst: Komponist Michael Jary und Texter Bruno Balz machten Zarah Leander mit Liedern wie «Davon geht die Welt nicht unter» oder «Ich weiss, es wird einmal ein Wunder gescheh’n» zum Weltstar. Als Schwuler wurde Balz von den Nazis verhaftet. Trickreich rettete ihn Jary vor dem KZ. 

Die Karriere des kreativen Duos ging in den Wirtschaftswunderjahren heiter weiter. Auch Hits wie «Mama» von Heintje stammen aus der Feder von Balz. 

Die Doku, produziert vom Schweizer Ivan Madeo, präsentiert dieses weithin unbekannte Kapitel der deutschen Filmgeschichte so kenntnisreich wie kurzweilig. Klug illustriert mit einordnenden Kommentaren von Fachleuten, Originalaufnahmen der Künstler sowie einem Füllhorn an Filmausschnitten.

«Ich weiss, es wird einmal ein Wunder gescheh’n», klimpert Götz Alsmann gelassen zum Vorspann. Der Musiker und ehemalige «Zimmer frei!»-Moderator wird als kompetenter Mann am Klavier immer wieder musikalische Beispiele einbringen und die Kunst von Michael Jary erklären. Er zeigt unter anderem, wie Jary den bei den Nazis verpönten Swing in seine Stücke einbaute, die später ironischerweise in den offiziellen Wochenschauen als wirkungsvolle Untermalung verwendet wurden. Ebenso subversiv lässt sich auch sein Texterkollege Bruno Balz interpretieren: «Kann denn Liebe Sünde sein?» schrieb er Zarah Leander auf den Leib – während er selbst als Homosexueller von den Nazis verfolgt wurde.

1936 wurde Balz wegen seiner sexuellen Orientierung zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Ihm wurde eine Heirat empfohlen, woraufhin eine Cousine für die Schein-Ehe einsprang. Als er später erneut im Gestapo-Gefängnis landete, kam er nur dank eines cleveren Coups seines Komponisten-Kollegen frei: Jary behauptete, ohne seinen Texter keine Lieder mehr liefern zu können. «Dann holen Sie ihn raus!», soll Goebbels höchstpersönlich gesagt haben.

Mit den Liedtexten zur Verwechslungskomödie «Viktor und Viktoria» gelang Balz 1933 der Durchbruch. Ein Experte beschreibt seine Werke als «zwischen hochintelligent und klischeebeladen». 

Mit dem sehnsuchtsvollen Lied «Roter Mohn» landeten Balz und Jary einen Riesenhit, der das ungleiche Duo endgültig zum Dreamteam machte. Die Karriere von «Deutschlands Traumpaar für Schlager und Film» sollte über vier Jahrzehnte dauern. «Sie haben sich gesucht und gefunden», beschreibt die Tochter von Jary das Verhältnis der beiden kreativen Kollegen.

Für die UFA wurden Jary und Balz zu sicheren Hitlieferanten. Für Heinz Rühmann schrieben sie «Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern» aus «Paradies der Junggesellen». Noch populärer wurden die Lieder für Zarah Leander, darunter «Mein Leben für die Liebe» sowie die Evergreens «Ich weiss, es wird einmal ein Wunder gescheh’n» und «Davon geht die Welt nicht unter» aus «Die grosse Liebe» von 1942. 

Propaganda? «Man konnte es auslegen, wie man wollte», erläuterte Balz. «Von den Bomben geht die Welt nicht unter – oder von den Bösartigkeiten der Nazis.»

Nach dem Krieg wurden beide von den Alliierten überprüft, doch Balz, selbst Opfer des NS-Regimes, wurde schnell freigesprochen. Die gemeinsame Karriere setzte sich fort. Während Jary im Wirtschaftswunder aufblühte und mit Auftritten in Shows wie «Was bin ich?» glänzte, blieb der introvertierte Balz lieber im Hintergrund. Mit dem Lied «Mama» für Heintje gelang 1968 nochmals ein grosser Erfolg. Balz führte ein entspanntes Leben; sein Nachlass offenbarte Tantiemen in Höhe von mehr als vier Millionen Mark.

«Es ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Künstlerfreundschaft inmitten sich dramatisch verändernder politischer und gesellschaftlicher Bedingungen – zwischen Anpassung und Widerstand, und immer auch zwischen Kunst und Kommerz», erklärt der Schweizer Regisseur Martin Witz. Seine Doku verbindet Kommentare von Fachleuten, Musikern und Angehörigen mit dokumentarischen Aufnahmen von Jary und Balz sowie hochwertigen Filmausschnitten.

Die abenteuerliche Geschichte hinter Hitlers Hitfabrikanten klingt so faszinierend, dass sie auch als Spielfilm funktionieren könnte.  

▶ Der Film kommt am 13. Februar in die Kinos.