«Mir sind mehrmals die Tränen gekommen»

Der Brite Sam Riley über seine Rolle als Ballett-Ikone im Biopic «Cranko».

DISPLAY: Mister Riley, was sagt Ihre Ehefrau zu Ihren Tanzqualitäten? 

Sam Riley: Sie findet mich einen unglaublich guten Tänzer. Eigentlich habe ich sie gewonnen, weil ich so gut tanzen kann – natürlich auch noch wegen anderer Sachen.

Waren Sie schon immer ein Fan von Ballett?

Absolut nicht, meine Faszination für das Ballett ist erst durch diese Rolle entstanden. Früher hatte ich Vorurteile und dachte, das wäre nichts für mich. Meine Meinung hat sich schnell geändert, als ich vor dem Dreh zum ersten Mal das Stuttgarter Ballett besuchte und dort entdeckte, wie wunderschön diese Kunst ist.  

Was ist für Sie so schön am Ballett? 

Die Faszination lässt sich mit Worten schwer erklären. John Cranko sagt im Film einmal, man könne ein ganzes Leben im Tanz finden, angefangen von den Kindertagen. Als ich das Ensemble im Proberaum erlebte, sind mir jedenfalls mehrmals die Tränen gekommen, weil diese Schönheit einfach ergreifend war. 

Sie haben in «Control» Ian Curtis von «Joy Division» gespielt. Gibt es eine Verbindung von der Post Punk-Ikone Curtis zur Ballett-Ikone Cranko? 

In beiden Fällen habe ich Familie und Freunde kennen gelernt. Da spürt man zum einen die Hoffnung, zum anderen aber natürlich auch eine gewisse Angst. Wird man den Erwartungen gerecht, diese Figur zu spielen? Die Erfahrung von «Control» war für mich bei «Cranko» wichtig. Beide wollte ich nicht als Ikone darstellen, sondern als Menschen. Entscheidend dabei war, dass ich Ähnlichkeiten zu mir finden kann. Das ist für mich der Schlüssel für jede Rolle. 

Wie gross erlebt man die Last, eine reale Person zu spielen?

Druck spürt man sowieso bei jeder Rolle. Mein Anspruch ist es immer, so gut wie möglich zu sein. Da bin ich kritischer als die schlimmsten Kritiker. Solche Figuren sind Traumrollen für jeden Schauspieler. Deshalb ist es für mich eher eine Ehre als eine Last.  

Es gibt die Diskussion, wonach queere Figuren nur von queeren Menschen gespielt werden sollen. Der «Queer as folk»-Macher Russell Davies fordert das rigoros. Umgekehrt sah man Daniel Craig in «Queer» nicht zum ersten Mal in einer schwulen Rolle. Wie sehen Sie das?

Ich kann Russell Davies teilweise verstehen, ich möchte einem schwulen Mann seine Erfahrungen nicht absprechen. Es gibt tatsächlich Dinge, die man als Schauspieler nicht tun sollte, ich würde etwa nie Othello spielen. Aber dass schwule Figuren nur schwulen Darstellern vorbehalten bleiben sollen, fände ich falsch. Entscheidend für mich ist immer die Glaubwürdigkeit. Daniel Craig war als Lover von Francis Bacon in «Love is the Devil» doch ziemlich perfekt! 


Sein Kinodebüt gab der Brite Sam Riley als Post-Punk-Ikone und Joy-Division-Sänger Ian Curtis im Biopic «Control». Mit Helen Mirren spielte er im Gangsterthriller «Brighton Rock», danach war er mit Viggo Mortensen und Kristen Stewart «On the Road» als cooler Aussteiger unterwegs. An der Seite seiner Ehefrau Alexandra Maria Lara spielte Riley in der Komödie «Rubbeldiekatz» von Detlev Buck.
Nun spielt der 44-Jährige die Tanz-Ikone John Cranko im Biopic «Cranko». 


Hätte Fassbinder diesen Film gedreht, wäre es bei den Sex-Szenen heftiger zugegangen. Warum beschränkt sich «Cranko» da nur auf Andeutungen?

Bei «Cranko» standen Sex-Szenen nie im Drehbuch, mich fragte auch niemand, ob ich davor Angst hätte. Vielleicht ging es darum, dass der Film eine Jugendfreigabe erhält und auch ein junges Publikum ihn sehen kann. Ich habe früher einige Sex-Szenen gespielt und bin kein grosser Fan davon. Auch als Zuschauer wirft mich das aus dem Film.  

Sie spielen auf Deutsch. Wie leicht fällt es dem Briten, in der fremden Sprache zu spielen?

Vor dieser Herausforderung hatte ich Angst. Mein Kollege Bill Nighy gab mir den Rat: «Das Heilmittel gegen die Angst vor der Arbeit ist die Arbeit!». Ich habe dann zwei Monate vor dem Dreh meine Dialoge auswendig gelernt. Damit konnte ich die Szenen ganz gut über die Bühne bringen – aber es gab immer diese Stimme im Kopf, die warnt: «Gleich kommt dieses Wort, das du immer falsch aussprichst!». Zum Glück war John ja kein Deutscher, wenn ich «der» und «die» und «das» falsch gesagt habe, wurde das einfach so gelassen. 

Sie waren in Cannes an der Seite von Jude Law zu sehen, spielen im Biopic «Die Witwe Clicquot» und haben mit Jan-Ole Gerster einen Thriller abgedreht – kein schlechter Lauf…

Es sieht in der Tat so aus, als wäre ich gerade recht erfolgreich. Deutlich wurde mir das bei einem Besuch in meiner Heimat in West Yorkshire. Das dortige Kino hat nur zwei Leinwände, und auf beiden lief ein Film, bei dem ich mitgespielt habe. Es waren zwar nur Nebenrollen, aber meine Eltern waren begeistert. 

Da müssen Sie aufpassen, dass Sie nicht mehr Erfolg haben als ihre Kollegin und Gattin Alexandra Maria Lara…

Ich werde nie so erfolgreich wie meine Frau. Das war glasklar vom ersten Moment an. Und damit kann ich sehr gut leben!  

 

 


Tanz-Ikone Cranko

Was Pina Bausch für Wuppertal, ist John Cranko für Stuttgart: Eine Tanz-Ikone von Weltruf. In London kommt der Südafrikaner 1960 wegen seiner Homosexualität mit dem Gesetz in Konflikt. Er flieht ins biedere Stuttgart, das sich als überraschend weltoffen erweist: «Die Schwaben sind eigen. Aber wenn sie einen ins Herz geschlossen haben, sind sie treu», verspricht seine neue Arbeitgeberin, die Staatsoper, vollmundig. Der Maestro zieht neue Saiten auf: Statt im Büro residiert er in der Kantine, für alle ansprechbar – Flirts inklusive. 

Die zickige bisherige Primaballerina ist schnell angezählt. Zur neuen Diva wird Marcia Haydée gekürt. Die entspricht zwar nicht gängigen Schönheitsidealen, doch avanciert sie schnell zum grossen Coup des eigensinnigen Choreographen. 

Privat geht es weniger erfolgreich zu. Ein paar Flirts hier, eine unglückliche Affäre mit einem LKW-Fahrer dort. Immerhin sind zwei attraktive Jungs als Haushaltshilfen engagiert. 

Was die Queerness des Künstlers angeht, gibt sich das Biopic bieder. Regisseur Joachim Lang ist eben kein Fassbinder. So dick aufgetragen der melodramatische Soundtrack, so belehrend die Dialoge. «Ich will mit Tanz das sagen, was man mit Worten nicht sagen kann», muss Cranko aufsagen. Oder «Erst wenn man erkennt, wie schrecklich die Menschen sind, kann einem zu Bewusstsein kommen, wie schön sie sind.» Der Brite Sam Reilly müht sich redlich und besitzt das notwendige Charisma. Für den Ausnahme-Künstler sind die dramaturgischen Tanzschuhe jedoch zu klein. Um es mit dem schwäbelnden Taxifahrer aus dem Film zu sagen: «Send Sie mir ned bös, aber des isch blos Hopserei.»

 

 


▶ Cranko. D 2024; Regie: Joachim Lang; Darsteller: Sam Reilly, Max Schimmelpfennig, Hanns Zischler. Lucas Gregorowicz; Der Film erscheint im Februar auf DVD.