«Ich bin gerne queer und anders»

Michael Rauchenstein moderiert die Hauptausgabe der SRF-Tagesschau. Der ehrgeizige Ausserschwyzer konnte sich im Leutschenbach seinen Traumjob angeln und ist super happy im Moment. Im DISPLAY-Interview erzählt der 34-Jährige, auf welchen Typ Mann er steht und warum ihm Single-Shaming auf den Wecker geht. 

Text Mark Baer

In Grossstädten fühlt sich Michael Rauchenstein am wohlsten. Das Urbane hat dem im Sternzeichen des Löwen geborenen Journalisten schon immer zugesagt. In Berlin und Brüssel, wo er lange Zeit arbeitete und lebte, ist er in den letzten Jahren immer mehr zum Stadt-Menschen mutiert. Heute wohnt der Tagesschau-Moderator in der Stadt Zürich. 

Aufgewachsen ist Michi zusammen mit seinen beiden Schwestern in einem Einfamilienhaus in Lachen im Kanton Schwyz. Dort genoss er eine liebevolle Erziehung, wie er versichert. Seine Kindheit bezeichnet er als positiv und schön. «Meine Schwestern würden sicher sagen, dass ich sehr verwöhnt worden bin», sagt der SRF-Mann. «Ich glaube das auch», gibt der Nachzügler schmunzelnd zu. Seine Geschwister sind sieben und acht Jahre älter als er. 

Dass Michael Rauchenstein auf Männer steht, nahm er (zumindest aus heutiger Perspektive) bereits etwa mit zehn Jahren wahr. «Ich fand männliche Körper schon immer spannend.» Doch für ihn war lange nicht klar, dass er gay ist. «Ich war viele Jahre überzeugt, dass ich auf Frauen und nicht auf Männer stehe.» Das hat sicher auch mit der traditionellen Erziehung auf dem Land zu tun, sagt er rückblickend.
Zudem habe er auch keine schwulen Vorbilder gehabt. «Klar, Sven Epiney war damals schon öffentlich out, aber irgendwie muss ich das verdrängt haben», sagt er lachend. 

Dass es queere Menschen gibt, habe er auch in der Schule nicht gelernt. Es habe einfach nur das Rollenbild der Heterosexuellen vorgeherrscht damals. Das habe ihn sehr lange geprägt. «Eventuell habe ich dieses Bild noch immer nicht ganz abgelegt.» Obwohl er inzwischen mehr Freunde habe, die schwul sind, halte er manchmal noch am traditionellen Bild fest. Von 16 bis 19 hatte er auch eine Freundin.

Etwa mit 21 Jahren hat sich Michi dann in einen Mann verliebt. «Ab da war es sonnenklar, dass ich homosexuell bin.» Seine Familie habe auf sein Coming-out gut rea-giert. «Meine Eltern brauchten aber ein paar Tage, um damit klarzukommen.» Erst nachdem er seine Familie eingeweiht hatte, informierte er auch seine Freundinnen und Freunde. Für seine Clique sei es nie ein Thema gewesen. «Die ahnten wahrscheinlich schon etwas und freuten sich, dass sie es von mir erfuhren», erzählt der Journalist gegenüber DISPLAY. 

Für den Tagesschau-Mann ist es schade, dass es heute weiterhin Coming-outs braucht. In den Augen des Ausserschwyzers sollte es besser in den Alltag integriert werden, dass es auch andere Lebensformen gibt. So könne man einen 15-jährigen Buben doch auch mal fragen, ob der andere Junge dort drüben «herzig» sei. Leider würde die Mehrheit aber immer noch fragen, ob ihm das Mädchen daneben gefalle.

In städtischen Gegenden registriert Michael Rauchenstein heute aber langsam einen einfacheren und offeneren Umgang mit dem Thema Homosexualität. So komme es immer häufiger vor, dass Jugendliche sagen, sie würden nicht wissen, ob sie jetzt queer oder hetero seien. Das stimmt den Fernseh-Mann zuversichtlich. Auf dem Land sei das Thema Queerness aber eher noch ein Problem.

Michael Rauchenstein hat vor Brüssel drei Jahre lang in Berlin gelebt. «Dort habe ich meine Teenager-Zeit nachgeholt.» Auch hier in Zürich will der Medien-Mann das so weiterleben. «Es ist mir, bezogen auf meine Homosexualität, nicht wichtig, was die Leute darüber denken», sagt er selbstbewusst. 

Er sei schwul und wolle anders leben als ein heterosexueller Mann. Wenn er beispielsweise das Thema «offene Beziehung» in seinem heterosexuellen Umfeld anspreche, sei eine solche Diskussion schwierig. Er kenne unter seinen Heti-Freunden niemanden, der dies in Betracht ziehe. Die meisten seiner nicht-queeren Freunde würden jetzt gerade Kinder bekommen. «Wir Gays dagegen sind heute viel freier, wie wir Beziehungen definieren – und das ist das Schöne in unserer Welt.»

In Zeiten mit vermehrter Gewalt gegen LGBTIQ-Menschen sei es ihm wichtig, als öffentliche Person über diese Themen zu sprechen. Es gebe zwar queere Personen, die der Meinung seien, man solle über
homosexuelle Liebe nicht mehr ständig reden, da es in der Gesellschaft sonst nie «normal» werde. «Ich bin aber der Meinung, dass ‘queer sein’ eben nach wie vor ein Thema ist.» Das fange ja schon beim Wort «queer» an. «Offenbar sind LGBTIQ-Menschen ja anders als der heteronor-mative Teil der Bevölkerung.» Und was aussergewöhnlich sei, sorge für Headlines, erklärt der News-Anchorman. 

Michi ist überzeugt, dass die queere Community auch in 30 Jahren noch für Schlagzeilen sorgen wird, denn sie sei nun einmal extrem vielfältig – «und das ist schön».

Er wisse gar nicht, ob es tatsächlich erstrebenswert wäre, wenn LGBTIQs in der Gesellschaft plötzlich nicht mehr aussergewöhnlich seien. «Ich bin gerne queer und anders!» Gays, Lesben und trans Personen seien freier und hätten weniger Normen und Vorgaben zu erfüllen. 

Die Erwartungen der Gesellschaft an einen heterosexuellen Mann seien ganz anders. So könne er als Gay an einem Konzert wahrscheinlich oft ungehemmter sein und müsse sich weniger rechtfertigen als ein Hetero-Mann. «Aber vielleicht denke ich als Soziologe auch in zu vielen Stereo­typen», lacht er. 


DISPLAY: Michi, seit wann bist du eigentlich Single? Michael Rauchenstein: Ich hatte meinen letzten richtigen Partner 2017 in Berlin.

Du wirst in den Medien öfters gefragt, weshalb du Single bist… Oh ja, diese Frage kommt ständig. Ich weiss es nicht, weshalb ich keinen Partner habe. Es ist einfach so. Oft kommt es mir wie Single-Shaming vor. Dabei muss man sich als Single für nichts entschuldigen.

Du bist wohl auch nicht aktiv auf der Suche, richtig? Genau. Ich war die letzten drei Jahre in Brüssel. Als Korrespondent für SRF standen ganz andere Dinge im Vordergrund. Ich überlege mir nicht aktiv, dass ich nun unbedingt einen Mann brauche. Es ist dann der richtige Zeitpunkt, wenn er hier ist. Bis dahin liebe ich meinen Job und lerne Männer mal im Ausgang kennen. 

Bist du denn viel im Ausgang? Jetzt bin ich genau ein Jahr aus Belgien zurück und habe hier ganz viel nach­geholt: Freunde treffen, mit ihnen brunchen, aber auch Ausgang mit Tanzen gehörte dazu. Dabei hatte ich fürs Dating gar nicht mehr viel Zeit. Ich denke, dass es ein Resonanzgesetz ist: ich könnte das sicher auch anders ausstrahlen. Aber irgendwie mache ich das nicht. Eine Beziehung war in diesem Jahr einfach nicht mein Fokus und der richtige Mann ist mir hier bisher noch nicht begegnet.

Was für ein Typ gefällt dir denn? Mir gefallen viele Männer, ich bin da nicht so anspruchsvoll. Wenn die Ausstrahlung stimmt, er nicht zu alt oder zu jung ist, dann stimmt schon vieles.
Mir gefallen vor allem sportliche Typen, die gern Ski fahren und wandern und dadurch auch sportlich aussehen. Ob Nord- oder Südländer spielt mir dabei keine Rolle. Wenn es passt, dann passt es.


Michael Rauchenstein ist ein zielstrebiger Mensch. Zuerst war sein heutiger Traumjob mit elf Jahren nur ein Bauchgefühl. Als seine Eltern einmal «Sport aktuell» schauten, fiel ihm die Moderatorin Regula Späni auf. «Das will ich auch einmal machen», sagte er damals und ab dann wusste er, dass er einmal Moderator werden wollte. Es sei wie «ein vorgezeichneter Weg» für ihn gewesen. Es habe sich immer alles ergeben und es kamen immer die richtigen Job-Angebote im richtigen Moment. 

Gestartet in die TV-Welt ist er während des Gymis 2005 als VJ und Moderator in der Jugendsendung «Video Gang». Ein Format, das auf verschiedenen Sendern ausgestrahlt wurde. Ab 2009 schnupperte Michael Rauchenstein Radioluft bei Radio Top, wo er dann auch die Morgen-Show moderierte. Von 2011 bis 2019 ging‘s als Moderator und VJ zurück zum TV und zwar zum Zentralschweizer Fernsehen Tele 1. 

«Irgendwie gab es nie Widerstände, weshalb ich wusste, dass dies der richtige Beruf für mich ist.» Weil Michi auf seinem Weg sah, dass es eine gute journalistische Basis braucht, um seinem Ziel Tagesschau-Moderator näher zu kommen, studierte er in Luzern und Berlin Politikwissenschaften und Soziologie. «Eigentlich wollte ich gar nicht an die Uni, weil ich der Meinung war, dass ich schon alles erreicht habe», grinst der 34-Jährige. Aber irgendwann habe er gemerkt, dass ihn die News immer mehr interessierten.

Bei der Tagesschau sei er momentan an der richtigen Stelle. «Ich bin von meiner Art her der klassische Tagesschau-Journalist: ich fasse gern auf einfache und nüchterne Art zusammen, was passiert ist.» 

Normalerweise drehen News-Moderator:innen bei SRF zuerst noch ein paar Runden in der Mittags- und Vorabend-Tagesschau. Michael Rauchenstein hüpfte direkt auf den Hauptausgabe-Stuhl. Wie kam es dazu, wollen wir von ihm wissen? «Ich habe meine Sporen in Brüssel als EU-Korrespondent und im Regionalfernsehen abverdient.» Dort habe er das Handwerk und seine Skills gelernt.

Auch nach einem Jahr bei der SRF-Tagesschau sage er sich oft auf dem Weg zum «Schaffen»: «krass, ich habe den Job!» Moderator werden wollte er nicht, damit er von den Menschen erkannt wird. Diesen Beruf wollte Michael haben, weil das sein Talent sei. «Wie ein Tennisspieler, der eine gute Vorhand hat, habe ich gemerkt, dass ich gut präsentieren kann.»

Trotz dieses grossen Selbstbewusstseins sei es manchmal noch «irreal» für ihn, eine Sendung zu präsentieren, die im Schnitt 700‘000 bis 800‘000 Zuschauer:innen erreiche. Das Adrenalin, welches sein Körper ausstosse, wenn das Tagesschau-Signet abgespielt werde: «Das ist ein richtiger Kick!» 27 Jahre wie Katja Stauber werde er allerdings nicht auf dem Tagesschau-Stuhl sitzen, sagt Michi Rauchenstein, und lacht. Er hoffe, dass dieser Job ihm nun etwas Ruhe gebe. Er wolle etwas ruhiger werden und etwas mehr geniessen. Aber irgendwann werde ihn wieder der Ehrgeiz packen und er werde wieder etwas Neues machen.