Pet Shop Boys, Interview mit Chris Lowe, Display Magazin

Pet Shop Boys: Traumpaar des klugen Pop

Der grosse Schweiger sprach mit DISPLAY: Chris Lowe über seine 40-jährige Beziehung zu Neil Tennant, das neue Album der Pet Shop Boys und Prosecco unter Nackten im Berliner Berghain.

DISPLAY: Chris Lowe, Sie und Neil wirken zusammen immer so sympathisch stoisch. Ist das eigentlich eine Masche?
Chris Lowe (lacht): Gott ja, das ist unsere Aura. Wir lachen sehr viel zusammen, wir haben unglaublich viel Spass. Im Studio verbringen wir mehr Zeit lachend als mit Musikmachen. Die Grundstimmung der Pet Shop Boys ist eine furios gut gelaunte.

Sie kennen sich seit 40 Jahren. Wie sehr ähnelt Ihr Verhältnis dem eines alten Ehepaares?
Bleiben verheiratete Paare überhaupt so lange zusammen wie wir? Nicht viele, oder? Das mit uns ist allerdings eher eine Freundschaft als eine Ehe. Wir mögen uns, aber wir haben keinen Sex. Okay, viele Ehepartner auch nicht… Jedenfalls: Die Basis unserer Beziehung ist die Musik. Und wir lieben beide gutes Essen. Ständig probieren wir neue Restaurants aus.

Gerade in der Anfangszeit der Pet Shop Boys dürften viele gedacht haben, ihr wärt ein Paar. Hat Sie das gestört?
Nein, warum sollte es? Aber wir waren nie ein Paar. Wir haben ein Verhältnis wie Mick Jagger und Keith Richards. Oder wie Paul McCartney und John Lennon – obwohl… die haben sich ja irgendwann zerstritten… Dadurch, dass wir nur zu zweit sind, ist es einfacher, zusammenzubleiben. In einer Band gibt es eher Spannungen, weil mehr Leute involviert sind.

Im Video zur neuen Single «Monkey Business» tanzen Sie und Neil Tennant! So viel Dynamik ist man von den stoischen Pet Shop Boys nicht gewohnt.
Nicht wahr? Wir waren schon eine Weile nicht mehr in einem unserer Videos zu sehen, und wir hatten bei «Monkey Business» einfach Lust darauf. Gerade weil dieser Song so gnadenlos flott, funky und tanzbar ist. Wir haben mit einer Choreographin gearbeitet, die Neil und mir jeden einzelnen Schritt genau gezeigt hat. Ich hätte gerne noch länger trainiert, aber es sieht auch so witzig aus. 

Gehen Sie privat oft tanzen?
Och, nicht mehr so richtig. Nicht wie in den Achtzigern und frühen Neunzigern. Ich bin auch wählerisch geworden, was Clubs angeht. Letzten Sommer war ich auf ein paar Partys auf Ibiza, naja, ganz nett… Aber ich habe festgestellt, dass mir der Schlaf wichtig geworden ist. Wenn ich ausgehe, dann am liebsten tagsüber. Ich bin 60 geworden, mein Lieber, das ist alt, richtig alt! Aber wissen Sie, was das Beste an meinem Alter ist: Ich habe jetzt eine Seniorenkarte für den Zug. Ich kann also mit Ermässigung fahren! 

Spüren Sie das Alter?
Nein, ich fühle mich nicht anders als früher. Ich muss mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass ich 60 Jahre alt bin. Zum Beispiel renne ich auf der Strasse einfach gerne los, diese Sprints sehen sicher eigenartig aus. 

«Wir treffen uns gern am Sonntag Mittag im Berghain mit Freunden auf ein paar Prosecco»

Ist 60 nicht sowieso das neue 40?
(lacht) Yeah, meine Rede! Ein wenig bin ich tatsächlich beunruhigt, etwas Spannendes zu verpassen. Neil und ich gehen jetzt gern altersgerecht aus. Wir treffen uns, wenn wir in Berlin sind, gern am Sonntag Mittag im Berghain mit Freunden auf ein paar Prosecco, bevor wir ein spätes Mittagessen einnehmen. 

Und wie halten Sie es mit der Nacktheit im Berghain?
(kreischt) Wir sitzen oben in der Panorama Bar, dort sind die Menschen in der Regel nicht nackt. Neil und ich auch nicht, wir behalten unsere Kleidung an. Aber wenn die anderen nackt sein wollen, sollen sie doch gerne. Wir beide finden das cool. Die ganze Atmosphäre im Berghain ist befreiend, auch weil die Handys wegfallen. In London kannst du nirgends hingehen, ohne beäugt zu werden. Und wenn die Londoner gerade keine anderen Leute fotografieren, dann fotografieren sie sich selbst. Nervig. Neil und ich erregen ungern Aufsehen. Wir mögen es, unter dem Radar zu bleiben. Dafür ist das gelassene Berlin wie gemacht.

Wieviel Zeit verbringen Sie in Berlin?
Rund zehn Wochen pro Jahr. Wir haben uns vor kurzem sogar eine grosse gemeinsame Wohnung gekauft, mit einem kleinen Studio drin. 

Sie und Neil Tennant leben also in einer WG?
Ja! Wir wollten eine gemeinsame Bleibe haben. Unser Freund, der schwule Fotograf Wolfgang Tilmans, hat eine ähnliche, gut hundert Jahre alte Wohnung. Es war schwierig, eine Wohnung in Berlin zu ergattern. Und ja, während wir in London an entgegengesetzten Enden der Stadt leben und uns meist in der Mitte treffen, wohnen wir in Berlin zusammen und verbringen auch unsere Freizeit gemeinsam.

«In Berlin leben wir zusammen und verbringen unsere Freizeit gemeinsam»

Was treiben Sie so?
Wir haben Velos, mit denen radeln wir gerne im Tiergarten. Besonders herrlich ist der Sommer. Im Sommer ist in Berlin alles toll. Wir sind dann draussen mit unseren Rädern, in den Wäldern oder an den Seen im Umland. Wir haben im Sommer ein sehr vergnügliches Leben in Berlin.

Fahren Sie mit den Rädern von der Innenstadt bis an die Seen?
Nein, wir nehmen die Bikes mit in die Bahn. Ein Auto brauchen wir in Berlin nicht. Die Bahn ist top. Wir haben im Stück «Will-O-The-Whip» sogar die Ansagen aus der U1 eingebaut. Die U1 ist der Party-Zug, er führt vom Westen bis nach Friedrichshain, wo die Leute feiern.

Berliner schimpfen oft über ihre Stadt, viele finden sie siffig. Sie sehen das anders, oder?
Komplett. Berlin ist ein offener Ort. In London ist es undenkbar, dass die Leute mit Bierflaschen in der U-Bahn sitzen. Aber in Berlin geht alles. Wir mögen es, wenn es nicht so viele Regeln gibt. Berlin ist das Gegenteil von München, dieser extrem sauberen Stadt. Die Leute in Berlin sind anarchisch und teilweise auch bekloppt. Wie die parken! Auf dem Trottoir, mitten auf der Strasse, einfach überall!

Sie haben «Hotspot» auch in Berlin aufgenommen, und zwar in den berühmten Hansa Studios am Potsdamer Platz.
Ja. Wir wollten die Platte in Berlin machen, und da kamen uns die Hansa Studios wegen ihrer grossen Geschichte, wegen David Bowie, Brian Eno oder Depeche Mode in den Sinn. Zudem liegen dort diese phantastischen analogen Keyboards rum, die wir alle genutzt haben. Der Sound ist viel dichter und wärmer, als wenn wir zum Beispiel in Los Angeles aufgenommen hätten.

Zu welcher Jahreszeit waren Sie im Studio?
Im Winter. In den Pausen sind wir oft auf den Weihnachtsmarkt gegangen und haben Thüringer Würste gegessen.

Sie geben auf den neuen Liedern riesig Gas. Sollte «Hotspot» eine dynamische Disco-Platte werden?
Dance Music und elektronische Musik prägen uns ja seit jeher. Wir haben ein Faible für Euphorie und kombinieren diese gern mit schönen Melodien und interessanten Texten. So auch dieses Mal.

«Hotspot» klingt nach klassischen Pet Shop Boys. Macht es Ihnen Spass, zeitlosen Pop mit modernen Sounds zu vermengen?
Das geschieht automatisch. Diese Kombination steckt in unserer DNA. Schütte noch eine Portion Melancholie dazu, dann hast du alles beisammen. 

Pet Shop Boys, Bild Alex Lake
Bild Alex Lake

«’Hotspot‘ ist ein wunderbar altmodischer Begriff für einen angesagten Ort, und während des Kalten Krieges war Berlin der Hotspot der Welt»

Eine der Uptempo-Nummern heisst «Happy People». Diese leben, so der Text, in einer traurigen Welt. Was dachte sich Neil bei diesen Zeilen?
Es geht um das Spannungsverhältnis zwischen uns und der Welt. Neil und ich sind weitgehend optimistische Gesellen. Zugleich scheint die Welt so missmutig und traurig geworden zu sein. Manchmal übermannt einen dieses Gefühl der Niedergeschlagenheit, und zwar umso stärker, je mehr Zeit du an deinem Handy verbringst. Ohne Pause informiert es dich darüber, was wieder Schreckliches passiert ist, das überfordert dich. Früher dominierte das Weltgeschehen unser Leben nicht annähernd so wie heute.

Auch die Ballade «Hoping For A Miracle» handelt von dieser Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung.
Ja. Wir warten immer noch darauf, dass irgendeine Lichtgestalt uns aus der selbstverursachten Misere holt. Aber wir werden wohl vergeblich warten.

Mit Misere meinen Sie den Brexit?
Ja. Und das Seltsame ist: Er kümmert niemanden mehr. Das ist alles eine höchst unangenehme Geschichte, aber man scheint die Situation akzeptiert zu haben. Jedenfalls lese ich nichts mehr vom Chaos an den Grenzen, von fehlenden Lebensmitteln oder Medikamenten.

Ist «Dreamland», auf dem der cute Twink Olly Alexander von Years & Years mitsingt, Ihre Hymne auf eine bessere zukünftige Welt?
Nicht wirklich. Der Text beschäftigt sich mit den Ängsten und Träumen der Flüchtlinge aus Syrien und anderswo. Diese Menschen sind vor dem Grauen geflohen und suchen nach einem Ort, an dem sie sich sicher fühlen können. Aber das ist für sie schwer zu erreichen. 

Als «Hotspot» bezeichnet man die grauenhaften Flüchtlingslager, etwa in Griechenland. 
Das stimmt, aber das war uns nicht bewusst, als wir das Album betitelten. «Hotspot» ist ein wunderbar altmodischer Begriff für einen angesagten Ort, und während des Kalten Krieges war Berlin der Hotspot der Welt. So einfach ist das.

Der letzte Song heisst «Wedding In Berlin». Ein Techno-Stück, das Mendelssohns Hochzeitsmarsch aufgreift und dessen Refrain «We are getting married, because we love each other» lautet. Wieviel Ironie steckt im Lied?
Ausnahmsweise gar keine! «Wedding In Berlin» haben wir als Hochzeitssong für einen guten Freund geschrieben. Wir pressten ein einziges Vinyl-Exemplar und schenkten es den beiden. Das Lied bildet einen schönen Abschluss unserer Berlin-Abenteuer-Platte. Wenn du es hörst, stellst du dir vor, die Hochzeit hätte im Berghain stattgefunden.  ||


PSB für Fortgeschrittene
Jan-Niklas Jäger analysiert in seinem Buch «Factually» auf geradezu wissenschaftliche Weise, was hinter dem charismatischen Duo und seinen sophisticated Lyrics steckt. Eine Lektüre für wahre PSB-Fans.
«Factually.
Pet Shop Boys in Theorie und Praxis». Ventil Verlag.