Der 29-jährige Gode war in seiner Heimat in Gefahr, weil er schwul ist. Jetzt ist er von Burundi in die Schweiz geflüchtet – und hat in Biel eine Heimat gefunden.
Von Mathias Steger
Das eigene Land aufgrund von ständigen Gefahren und Diskriminierungen für immer verlassen zu müssen – ein unfassbarer Gedanke für die meisten von uns. Nicht jedoch für Millionen von geflüchteten Menschen. Und schon gar nicht für den jungen Gode aus Burundi, der aufgrund seiner Homosexualität und der ständigen Gefahren seiner Heimat den Rücken kehren musste und eine nicht ungefährliche Reise in die Schweiz startete. Dies ist seine Geschichte.
Mit einem breiten Lächeln begrüsst mich Gode bei meiner Ankunft in Biel, wo er nun seit Juni letzten Jahres zu Hause ist. Er strahlt Lebensfreude und Zufriedenheit aus – und das, obwohl seine Vergangenheit und sein Weg in die Schweiz nicht einfach waren. Voller Offenheit und ohne Hemmungen erzählt mir der 29-Jährige aus Burundi über seine lange Reise in die Schweiz, die Schwierigkeiten in seiner Heimat und sein neues Leben in Biel.
Auf der Flucht irgendwo in Bosnien: Gode sucht einen queerfreundlichen Ort.
Schwulsein ist hier strafbar
Gode stammt ursprünglich aus Burundi und lebte lange Zeit auch im Nachbarstaat Kongo. In Burundi ist Homosexualität strafbar und auch in Kongo gibt es keinerlei Schutz für die Community. Kein Wunder also, dass er sich in keinem der beiden Länder sicher fühlte und ständig Diskriminierungen und Gewalt ausgesetzt war. Neben den schwierigen politischen Umständen und den ständigen Bedrohungen aufgrund seines «Andersseins» war auch seine Familie keineswegs unterstützend. «Die grösste Gefahr in meiner Heimat als Homosexueller ist die eigene Familie – noch vor der Gesellschaft oder der Politik. Gays werden von eigenen Familienmitgliedern ausgestossen, verletzt oder sogar umgebracht. Als Queer wollen sie dich einfach loswerden», beklagt Gode.
Nach dem Tod seiner Eltern outete er sich vor seinen Geschwistern – und stiess auf wenig Verständnis. «Natürlich fehlen sie mir und wir sind auch etwas in Kontakt. Ich glaube jedoch, dass sie froh sind, dass ich nicht mehr in ihrer Nähe bin», erzählt er.
Kein Doppelzimmer für Männer
Gode erklärt mir, dass es in Burundi für zwei Männer unmöglich ist, gemeinsam ein Hotelzimmer zu beziehen. Als er dort in einem Hotel arbeitete und einige Male zwei Männer in einem Zimmer akzeptierte, bekam er grosse Probleme. Er landete für 24 Stunden im Gefängnis, weil er mit dieser Aktion Homosexualität «fördere», und kam nur auf Kaution wieder frei. Wenig später war er wieder in grosser Gefahr. Der Vorsteher des Viertels, zu dem er eine gute Beziehung hatte, teilte ihm mit, dass ein Haftbefehl gegen ihn vorliege und er sich verstecken und nicht zur Arbeit erscheinen solle. Dieses prägende Ereignis, gemeinsam mit der ständigen Diskriminierung und der mangelnden Unterstützung seiner Familie waren für ihn ausschlaggebend, seine Heimat für immer zu verlassen.
Flucht nach Serbien – vom Regen in die Traufe
Als er noch in seiner Heimat war, wusste er von Europa sehr wenig. «Ich wollte einfach weg, wusste aber nicht, wohin. Ich hatte gehört, dass man ohne Visum nach Serbien reisen konnte», schildert er. So packte Gode die wichtigsten Dinge und flog nach Belgrad. Dort wurde er in ein Heim für Asylsuchende gebracht. An das Land hat er keine guten Erinnerungen: «Für die Menschen dort war es eine Sensation, einen Schwarzen zu sehen, und Toleranz gegenüber Homosexuellen und anderen Menschen ausserhalb der Norm gab es kaum.»
In einer Nacht- und Nebelaktion flüchtete Gode aus dem Heim und wurde von Schleppern an die Grenze zu Bosnien und Herzegowina gebracht. «Wir haben mit kleinen Schlauchbooten mitten in der Nacht einen strömenden Grenzfluss überquert. Als wir dann auf der anderen Seite waren, haben die Schlepper nur geschrien, dass wir rennen sollten». Gode erzählt voller Mitleid, dass es noch am selben Tag einem Boot nicht gelungen sei, den Fluss zu überqueren – die Insass:innen ertranken.
Mit einem Kollegen an seinem Arbeitsplatz. Gode bei seiner Arbeit in einem Hotel.
Sehnsuchtsort Schweiz
In Bosnien landete Gode mit seiner Gruppe wieder in einer Unterkunft für Geflüchtete. Von dieser flohen sie nach einiger Zeit und mussten noch einmal mit einem Schlauchboot einen Grenzfluss überqueren, um Kroatien zu erreichen. Erst als Gode in Slowenien war, entschied er sich für die Schweiz als Ziel: «Ich habe im Internet recherchiert, wo es in Europa ausreichend Rechte für die LGBTQ-Community gibt und wo es am sichersten ist – und bin auf die Schweiz gestossen. Seitdem wusste ich, dass ich in die Schweiz wollte.»
Bis er aber hier ankam, mussten einige Hindernisse überwunden werden. Ständiges Verstecken und Fliehen und der geheime Kontakt mit den Schleppern standen an der Tagesordnung. In Italien wurde er dann mit einer Gruppe anderer von einem Schlepper hereingelegt, der bei den Geflüchteten Geld einsammelte und sagte, er müsse kurz weg, um für alle Essen und Zugtickets zu besorgen. Den Schlepper bekamen sie nie wieder zu Gesicht.
Fair behandelt in Zürich
Irgendwie gelang den Fliehenden dann die Zugreise in die Schweiz aber doch. Endlich in Zürich angekommen, waren Gode und seine Gruppe am Anfang ziemlich ratlos: «Wir wussten nichts über die Stadt und hatten keine Ahnung, wohin wir uns wenden sollten.»
Als erstes sprachen sie einen Polizisten an, der ihnen aber sagte, er sei bereits ausser Dienst. Dann entschieden sie sich, einfach zu einem Taxistand zu gehen und sich zum nächstgelegenen Heim für Asylsuchende bringen zu lassen. Von da an sei Gode von den Schweizer Behörden immer korrekt und fair behandelt worden, im Gegensatz zu manchen anderen Ländern.
Vom Kanton Zürich kam Gode in ein Heim in Bern und später in eine eigene Wohnung nach Biel, wo er auch heute noch lebt. Er schätzt die Unterstützung durch Queeramnesty und das Rote Kreuz, das ihm eine kleine Wohnung zur Verfügung stellt. Von Biel will er nicht mehr wegziehen. Es gefällt ihm, dass es hier ziemlich international ist, er hat einen Freundeskreis aufgebaut und ist gerne in der Stadt unterwegs. «Seit ich in Biel bin, fühle ich mich hier zu Hause».
Ausbildung in Biel
Aktuell macht Gode seit August in Biel eine Lehre als Fachmann Hotellerie-Hauswirtschaft in einer Residenz in Sonceboz-Sombeval im Berner Jura. Es war für ihn extrem schwierig, eine Lehrstelle zu finden, aber nun hat er es geschafft. Zudem unterstützt er Queeramnesty als Mentor und begleitet neue Geflüchtete bei ihrer Ankunft in der Schweiz. Ab und zu arbeitet er auch als Freiwilliger in einer Bieler Bibliothek und besucht einen Deutschkurs. Besonders freut es ihn, dass er an einer Theateraufführung von «La Vie parisienne» in Bern als Tänzer mitmachen darf.
Gode mit seinen Schwestern und ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter.
Zu feminin?
Gode ist ein besonders aktiver Mensch. Bereits in seiner Kindheit sang und tanzte er gerne und war in einem Chor – bis man ihm sagte, sein Auftreten und seine Stimme seien zu feminin. Er ist leidenschaftlicher Koch und so lädt er hier in Biel immer wieder Freund:innen zu sich nach Hause ein, um sie mit kulinarischen Köstlichkeiten aus seiner Heimat zu verwöhnen. Zudem interessiert er sich für Make-up und schminkt sich und seine Freundinnen gern.
«In der Schweiz stosse ich auf keine Diskriminierung mehr», freut sich Gode und fügt hinzu, dass er sich diesbezüglich keine grossen Gedanken mehr macht, ob die Leute ihn anstarren, denn er möchte sein Leben einfach leben und geniessen. Das einzige Mal, dass er in der Schweiz wirklich diskriminiert wurde, war im Wohnheim für Asylsuchende im Kanton Bern, wo er von anderen Bewohnern aufgrund seiner Homosexualität gemobbt wurde.
Gode weiss nicht, ob er je wieder in seine Heimat reisen möchte. Aktuell darf er es gar nicht, weil es ihm sein blauer Pass nicht erlaubt. Beim Gespräch mit Gode ist zu spüren, wie glücklich er ist, es bis in die Schweiz geschafft zu haben und wie sehr er bemüht ist, sich zu integrieren und hier einen festen Job zu finden. «Ich bereue gar nichts und würde die Schweiz mit keinem anderen Land tauschen. Meine Freund:innen aus meiner Heimat fehlen mir aber schon», fasst Gode zusammen. Für die Zukunft wünscht er sich, eine fixe Arbeit zu finden, zu heiraten und ein glückliches und zufriedenes Leben voller Toleranz zu leben und immer so sein zu können, wie er eben ist. Gode ist ein Beispiel dafür, wie Integration in der Schweiz gelingen kann.
Hilfe für verfolgte Queers
Drei Fragen an Livia Amacker von Queeramnesty.
DISPLAY: Livia, was ist Queeramnesty genau?
Livia Amacker: Wir sind eine Untergruppe von Amnesty International Schweiz. Sämtliche Mitglieder engagieren sich freiwillig – sei es im Redaktionsteam für das Queeramnesty-Magazin, sei es in der Projektgruppe «Focus Refugees» oder anderswo.
Wie unterstützt Queeramnesty Mitglieder der LGBTIQ+-Community?
Wir begleiten LGBTIQ-Asylsuchende sozial, ermöglichen ihnen den Zugang zur queeren Community in der Schweiz und unterstützen sie in der Kommunikation mit, und dem Gang zu den Behörden, Rechtsvertretungen sowie medizinischen Fachpersonen. Eine weitere wichtige Unterstützung ist die Vorbereitung auf die Anhörung zu den Asylgründen. Es ist wichtig, dass die Asylsuchenden verstehen, wie bedeutend dieser Tag ist und worauf es ankommt – und wie die Machtverhältnisse im Raum sind während der Befragung.
Was kannst du uns über Gode erzählen?
Gode ist jemand, der zuvor von uns in unserem Mentoringprogramm begleitet wurde und sich nun selbst als Mentor engagiert. Er ist eine unglaubliche Bereicherung für unsere Arbeit und kann LGBTIQ-Asylsuchende gerade auch dort besonders gut verstehen, wo wir es nicht können. Ich bin zwar lesbisch und damit queer, aber ich habe keine Fluchtgeschichte. Beispielsweise haben wir einmal zusammen einen schwulen Asylsuchenden auf die Anhörung vorbereitet. Ich habe damals gar nicht so viel gesagt, Gode hat das meiste übernommen und konnte die zwischenmenschliche Dynamik und die Machtverhältnisse während der Befragung noch viel besser beschreiben als ich.
Livia Amacker engagiert sich seit Mai 2022 bei Queeramnesty als Mentorin in der Projektgruppe «Focus Refugees» und koordiniert diese seit Januar 2023 zusammen mit weiteren Teammitgliedern. Ihr juristischer Hintergrund ist eine grosse Hilfe, LGBTIQ-Asylsuchende im Rahmen der Tätigkeiten dieser Gruppe zu unterstützen.