Gay couple in bed sleeping

«Nächtliches Jogging für das beste Stück»

Was hat es mit der Morgenlatte auf sich, und was ist eigentlich Sexsomnie? Der Schlafforscher Albrecht Vorster kennt die Antwort.

In Albrecht Vorsters Buch «Warum wir träumen» geht es um die biologischen Grundlagen des Schlafes, um Träume, um Schlafwandler. Aber auch um die Morgenlatte und Sexsomnie, das heisst schlafwandlerische Sexattacken. Eine Reise in den unbekannten Teil des Lebens.

Interview Dieter Osswald

DISPLAY: Albrecht Vorster, Sie schreiben im Buch von einem Traumerlebnis, bei dem Sie Ihren Partner aus dem Traum heraus im Bett angesprungen haben. Ist solche Offenheit mittlerweile selbstverständlich im Wissenschaftsbetrieb?

Albrecht Vorster: Bei uns im Institut ja, und auch in meiner Generation. Ich wünsche mir, dass in einem Kontext, in dem die geschlechtliche Orientierung nicht im Vordergrund steht, noch häufiger gleichgeschlechtliche Lebensformen en passant erwähnt werden. Gerade, weil es einfach normal ist. Genauso wie Linkshändigkeit auch nicht der Rede wert ist.

Sie widmen sich in Ihrem Buch auch der sogenannten Morgenlatte – was hat es damit auf sich?

Während des REM-Schlafs, dem Schlafstadium mit den meisten Träumen, kommt es auf natürliche Weise zu Erektionen. Sie dienen dazu, die Sauerstoffversorgung des Penisgewebes optimal zu stärken. Es ist sozusagen ein nächtliches Jogging für das beste Stück. Passend dazu steigen während der Zeit Puls und Atmung an. Die Messung der Zahl der Erektionen während der Nacht mittels einer Ringelektrode ist ein hilfreicher Test bei der Ursachenerkundung einer Impotenz: Treten Erektionen nachts weiterhin auf, handelt es sich nicht um ein rein körperliches Problem.

Sind die so genannten feuchten Träume die Ursache der nächtlichen Erektionen?

Mit erotischen Träumen oder verdrängten Sehnsüchten haben die Erektionen während des REM-Schlafes nichts zu tun. Da wir in den Morgenstunden wesentlich mehr Zeit im REM-Schlaf verbringen als zu Beginn der Nacht, ist die Morgenlatte nur ein Zeugnis von dem Schlafstadium, in dem wir uns noch wenige Minuten zuvor befunden hatten. Sie sagen uns: Mit dir ist alles voll in Ordnung!

«Wenn wir den ganzen Tag ständig alles kontrollieren, haben wir nachts das Problem, nicht loslassen und uns nicht entspannen zu können»

Träumen Frauen anders als Männer? Und Heteros anders als Schwule?

Da Träume das widerspiegeln, was jeder von uns erlebt und ihn bewegt, sind sie von Person zu Person je nach Vorlieben und Neigungen unterschiedlich. Das nach Geschlechtlichkeit und sexueller Vorliebe aufzutrennen wäre platt, denn Neigungen und Vorlieben überlappen sich. Bekannt ist, dass Frauen und Männer anders darauf reagieren, ob ein Partner neben ihnen liegt oder nicht, ganz gleich welchem Geschlecht dieser angehört. Männer schlafen mit Partner tiefer und erholsamer. Frauen geben zwar an, auch gerne neben ihrem Partner zu schlafen, schlafen aber nach objektiven Kriterien schlechter. Möglicherweise aufgrund eines Urzeitinstinkts, der sagt: Auch nachts hat sich die Frau um die Familie zu kümmern. So tendieren Frauen neben Partnern dazu, auch nachts Wache zu schieben, weniger tief zu schlafen und häufiger aufzuwachen.

Laut einer US-Studie sollen Paare, die nackt schlafen, glücklicher sein als jene, die Nachthemd oder Pyjama tragen. Können Sie das bestätigen? 

Die Kleidung spielt keine Rolle für den Schlaf. Wenn man glücklich ist, nackt zu schlafen, kann man das tun. Nachtwäsche hat den hygienischen Vorteil, dass sie die Feuchtigkeit aufnimmt. Wir schwitzen nachts bis zu 1,5 Liter Flüssigkeit aus und das Waschen eines Pyjamas ist viel ein facher als das ständige Wechseln von Bettlaken. 

Schlafstörer: Wer gut schlafen will, sollte Handys
und Laptops aus dem Schlafzimmer verbannen.
©bedpost.co.nz


Oft hört man «Ich habe schlecht geschlafen». Ist das bereits bedenklich?

Es besteht ein Unterschied zwischen bisweilen schlecht schlafen und einer veritablen Schlafstörung. Gelegentlich schlecht zu schlafen ist normal. Behandlungsbedürftig sind Schlafstörungen erst, wenn Menschen länger als einen Monat häufiger als dreimal in der Woche Schlafprobleme haben. Diese Menschen fühlen sich gerädert, werden dünnhäutig und körperlich schwach. Nicht umsonst zählt Schlafentzug zu den gängigsten Foltermethoden.  

Albert Einstein soll 14 Stunden pro Tag geschlafen haben, Napoleon brauchte nur 4 Stunden Schlaf. Wozu raten Sie?

90 Prozent der Menschen brauchen zwischen sechs und neun Stunden Schlaf. Eine generelle Empfehlung lässt sich daraus nicht ableiten, weil das so individuell ausfällt wie bei der Grösse eines T-Shirts. Den meisten passt die Grösse M oder L, einige wenige brauchen S oder XXL. 

Schlafstörungen gelten heute als Volkskrankheit. Warum ist das so? War früher alles besser?

Schlaf gehört zu den wenigen Dingen, die wir nicht willentlich steuern können. Schlafen kann man nicht wollen, im Gegenteil: Er überkommt uns. Wenn wir den ganzen Tag ständig alles kontrollieren, haben wir nachts das Problem, nicht loslassen und uns nicht entspannen zu können. Generell ist es allerdings nicht so, dass sich unser Schlafverhalten in den letzten 100 Jahren so dramatisch verändert hat, wie es häufig darstellt wird. Unsere Schlafstruktur ist darauf angelegt, dass wir mehrmals nachts aufwachen. Wir machen uns nur zu viele Gedanken darüber!

«Schlafen wir zu wenig, werden 
wir dumm und unkonzentriert»

Gleichwohl hat Schlafmangel Folgen. 

Problematisch wird es, wenn der Schlaf über längere Zeit massiv verkürzt wird. Wer acht Stunden Schlaf benötigt, aber nur fünf Stunden schläft, bekommt die Folgen zu spüren. Übergewicht, Diabetes Typ 2 oder Alzheimer können die Folge sein. 

Im Buch erzählen Sie von Erfindungen, die den Entdeckern im Schlaf gekommen sind. Sollte man also, damit man im Schlaf auf geniale Ideen kommt, vor dem Einschlafen an ein Perpetuum Mobile denken?

Das Beispiel der Erfindungen dient dazu, darzustellen, welche Rolle der Schlaf für die Generierung von Wissen spielt. Der Schlaf ist dazu prädestiniert, zwischen dem Gelernten Querverbindungen zu ziehen, um das neu Gelernte des Tages in das bestehende Wissen zu integrieren. Erfindungen entstehen aus bekanntem Wissen und freigeistiger Verknüpfung. Wer sich viel mit einem Thema beschäftigt, wird das auch im Schlaf tun. Ob ich dadurch auf die grossartige Idee komme, ist offen. Ich kann jedoch jedem empfehlen, wenn er klüger werden will, auf ausreichend Schlaf zu achten. Schlafen wir zu wenig, werden wir dumm und unkonzentriert. 

«Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen. Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen», sagt Kant. Ist Schlaf das beste Drittel im Leben?

Womit Kant recht hat: Wenn wir gut geschlafen haben, sind wir emotional ausgeglichener und nehmen die Welt positiver wahr. Wer sein Leben verschönern will, sollte auf seinen Schlaf achten – dann fühlt man sich glücklicher und besser. ||


Einschlafen und Träumen: Tipps zum Schlaf

Was ist Ihr Einschlaftipp – vielleicht die Lektüre Ihres Buchs?

Ich hoffe, das Buch ist nicht so langweilig, dass man nach einer Seite gleich einschläft (lacht). Das Wichtigste ist, mit einem entspannten Grundzustand ins Bett zu gehen. Wie man diesen Zustand erreicht, ist jedem selbst überlassen. Das kann ein heisses Bad, autogenes Training oder ein gutes Buch sein. Ich empfehle, Handy und Laptop eine Stunde vor dem Einschlafen auszuschalten und damit Arbeit und emotionale Facebook-Unterhaltungen aus dem Schlafzimmer zu verbannen. Schlafen ist aktives Loslassen. Je entspannter wir sind, desto besser, tiefer und glücklicher schlafen wir ein. 

Wie lassen sich Albträume besiegen?

Albträume sind belastend, das spiegelt sich in einer deutlich höheren Selbstmordrate. Eine gute Behandlungsmethode bietet die «image rehersal therapy». Dabei schreibt man den Traum detailliert auf. Danach überlegt man, was einem in der Horrorsituation helfen könnte. Sollte ich zum Beispiel meinen Verfolger ansprechen und ihm eine Blume schenken? Sollte mir jemand zu Hilfe eilen? Man entwirft also ein Happy End für diesen Albtraum, schreibt es auf und liest das über zwei Wochen mehrmals vor dem Einschlafen durch. Was wir häufig lesen, brennt sich ein. Bislang hat sich der Albtraum eingebrannt, was sich durchbrechen lässt, indem wir die Gedanken bewusst in eine neue Richtung lenken.  

Kann man seine eigene Traumfabrik eröffnen?

Es gibt Techniken, das Auftreten von luziden Träumen wahrscheinlicher zu machen. Also von Träumen, in denen man sich zum einen bewusst ist, dass man träumt. Und zum anderen, die Träume nach eigenen Wünschen gestalten kann. Wer gut trainiert, schafft es auf drei bis sieben solcher Träume im Monat. Dazu gebe ich im Buch einige Tipps, wer Spass hat, kann das ausprobieren.  


Das Buch zum Thema
Albrecht Vorster: 
Warum wir schlafen. 
Heyne-Verlag. 416 Seiten, 
50 s/w Abbildungen.

Dieser Artikel erschien im DISPLAY, dem Premium Lifestyle-Magazin für Gays und Freunde.
DISPLAY ist führend in den Bereichen Kultur, Politik, Fashion, Style, Trends und Reisen.

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Text Mark Baer Bild Ilja Tschanen