Schnauz ahoi! 

Nach den wilden Bärten spriessen jetzt  die Porno-Balken. In den letzten Jahren trug Mann einen getrimmten Bart. Aktuell jedoch sind Schnurrbärte à la Freddie Mercury hip. Wie steht dir ein YMCA-Moustache? Versuchen kann es jeder. Und wenn es nicht passt, ist der Oberlippenbart in ein paar Sekunden wieder ab.

Von Mark Baer

Der Schnauz ist zurück – und wie! Seit ein paar Jahren schmücken immer mehr Gays ihre Oberlippen mit einem Moustache. Egal, ob es ein Magnum-Schnauz oder zwei feine haarige Strichlein wie in den Roaring Twenties oder bei Regisseur John Waters sind; in der Gay-Community gewinnt das Körper-Accessoire immer mehr an Beliebtheit. DISPLAY geht dem Trend nach.

Schnurrbärte gibt es, wie archäologische Funde zeigen, bereits seit dem Altertum. Ramon Wicki hat seinen Schnauz erst seit etwa fünf Monaten. «On und off», wie er erklärt. Der 34-Jährige trug seit fünf bis sechs Jahren einen Vollbart und fand nun, dass es Zeit sei, etwas Neues auszuprobieren. «Eigentlich dachte ich, dass das gar nicht zu meinem Gesicht passt», sagt der Berner, der seit zwei Jahren in Zürich lebt. Weil Ramon gerne ausprobiert, wandelt er nun mit einem Moustache im Gesicht durchs Leben. Manchmal mit mehr und dann wieder mit weniger Bart um sein Kinn. «Ich habe viel positives Feedback bekommen.» Dies habe ihn dazu inspiriert, den Schnauz stehen zu lassen.

Auch Ramons Freund, Lukas, gefällt die Oberlippen-Behaarung seines Liebsten. «Die ersten zehn Minuten fand ich es lustig und ungewohnt.» Heute aber steht er auf den Schnäuzer seines Freundes. Auch beim Küssen störe das Teil nicht, «sind es jetzt doch weniger pieksige Haare als vorher», lacht Lukas. Ramon, der für das queere Filmfestival Pink Apple im Kurzfilm-Programmierungs-Team arbeitet, will den Schnurrbart deshalb nun auch länger stehen lassen. 

Ralf Höhn ist zu seinem Schnauz wie die «Jungfrau zum Kinde» gekommen. Oder besser gesagt, «wie die Jungsau zum Kinde». Der 47-Jährige wollte an eine Party in Berlin gehen – unerkannt. Anstatt eine Puppy-Maske hat er sich in der deutschen Hauptstadt dann eine Schweine-Maske gekauft. «Die war halb so teuer», sagt Ralf lachend. 

Unter der Ferkel-Maske war das Kinn sichtbar, und weil Ralfs Bart grau ist, hat er sich an diesem Abend um das Kinn herum rasiert und nur noch den Schnauz stehen lassen. «Die Farbe meines grauen Barts sah mit der rosa Schweine-Maske einfach Kacke aus, also habe ich mich rasiert unten durch.» Am nächsten Tag vor dem Spiegel fand er, dass das gar nicht sooo schlecht ausschaue. «Ich habe ihn dann noch ordentlich rasiert und seitdem habe ich den Schnauz!»

Das ist jetzt etwa neun Wochen her. Auch bei Ralf, der aus dem Ruhrpott kommt, in der Buchhaltung arbeitet und seit acht Jahren in Zürich lebt, waren die Reaktionen auf seine Oberlippenbehaarung bis jetzt nur positiv. «Nur mein Ex-Freund meinte, dass ich das komische Ding aus dem Gesicht wieder rausmachen solle», erzählt Ralf Höhn gegenüber DISPLAY. Sonst habe er nur Komplimente erhalten und trage seit damals den Porno-Schnauz mit Stolz. Leider sei das beste Stück mega grau: «Er fällt gar nicht so auf wie ein schöner schwarzer oder brauner Schnurrbart.»

Der Pornoschnauz steht in der Sex-Industrie, gemäss Jesse Feijt für viele männliche Attribute. Laut dem Zürcher Hairstylisten und Sänger war der Schnurrbart vor allem in den Seventies und Eighties ein grosser Trend. Danach sei der Schnauz eher wieder zu einem «Alten-Mann-Ding» verkommen. «Die letzten zwei Jahre sehe ich den Moustache nun aber wieder viel häufiger, vor allem auch bei den Jungs meiner Generation», sagt der 25-Jährige. 

«Styles von Kopf bis Fuss kommen und gehen.» Auch Haar- und Bart-Moden seien einem konstanten Wandel unterworfen. Der «Top-Gun»-Schauspieler Nick ‘Goose’ Bradshaw, der an der Seite von Tom Cruise bekannt wurde, hat den Schnauz für Jesse Feijt wieder attraktiv gemacht. Der Schönheitsexperte arbeitet im Salon Raphael im Zürcher Seefeld. Dort verschönert er zwar vor allem weibliche Kundinnen, er hat aber auch männliche Kundschaft, der er immer mal wieder Schnäuze richten, Bärte trimmen, rasieren und schneiden darf. 

Der Niederländer, der seit fast 15 Jahren in der Schweiz lebt und sieben Sprachen beherrscht, findet Schnurrbärte an Typen selber sexy und oft auch sehr maskulin. Er selber trägt aktuell auch einen «leichten» Schnauz: «Aber leider ist der nicht gut sichtbar, weil ich blond bin und eine sehr schwache Gesichtsbehaarung habe», lacht der Maastrichter.

Der Hairstylist, der dieses Jahr an der Zurich Pride als Sänger auf der Bühne stand, ist der Meinung, dass jeder Mann einen Schnauz tragen kann. «Ich würde es zumindest ausprobieren!» Ob der Moustache dann der Person wirklich steht oder nicht, sei oft einfach auch Geschmackssache. Nach oben gedrehte Schnäuzer würde Jesse bei einem zu runden Gesicht nicht empfehlen. Aber ein generelles No-Go für Schnurrbärte will er gegenüber DISPLAY partout nicht aussprechen.

Die Meinung, dass man einen Schnauz einfach mal wachsen lassen sollte, vertritt auch Luke Warzecha. «Macht es einfach!», fordert er. Was könne beim Ausprobieren denn schon Schlimmes passieren? «Wenn euch der Schnauz nicht gefällt, könnt ihr ihn schnell wieder loswerden!» Ihn zu einem passablen Mass zu kultivieren, dauere in manchen Fällen etwas länger und fordere auch Geduld, aber der gebürtige Pole würde es sicher mal versuchen.

Der 38-Jährige stellt schon seit etwa zehn Jahren seine Oberlippenbehaarung zur Schau. Luke ist sogar mit einem ganz speziellen Stück ausgestattet: er verfügt über einen gezwirbelten Schnauz, fast so wie einst Salvador Dalí. Ihm gefällt diese Form des Schnurrbarts halt besser. «Sie passt besser zu meinem Gesicht und hat etwas Einzigartiges an sich.» 

Auch wenn gefühlt gerade ein Drittel der Community sich einen Schnäuzer wachsen lässt, sieht sich Luke, der bei einem Telekomunternehmen arbeitet, eher nicht als Trendsetter. «Wenn ich mich richtig an meinen Geschichtsunterricht erinnere, haben bereits sehr viele Herren in der Vergangenheit einen solchen Moustache getragen.» Deshalb sei sicher einer von ihnen DER Trendsetter und nicht er mit seinem zehn Jahre alten Teil.

Der bereits seit zwei Jahren eingebürgerte Luke freut sich aber, dass gerade immer mehr Männer (unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung) mit Schnauz rumlaufen. «Man soll im Rahmen der eigenen Möglichkeiten experimentieren.» 

Für Luke gibt es mindesten zwei Gründe, weshalb er sich einen Schnauz zugelegt hat: Erstens lässt ihn die Gesichtsbehaarung etwas älter ausschauen («Denn ohne wurde ich öfters nach meinem Ausweis gefragt») und zweitens habe das Accessoire – in Zeiten, in denen viele Menschen einem Trend folgen – einen Wiedererkennungswert: «Ich wollte einfach nicht gleich aussehen wie alle, sondern ein wenig anders sein.»

Einen Bart trug er übrigens nie. Dies, weil nicht jeder Mensch mit einem starken Bartwuchs gesegnet sei, schmunzelt Luke. Aber immerhin «und zum Glück» habe sich die Gesichtsbehaarung bei ihm in den letzten Jahren nun stärker entwickelt.

Persönlich findet der Zwirbel-Experte auch den etwas dickeren Seventies-Pornoschnauz sexy: «Aber es muss auch die Attitude und das Gesicht dazu passen.» Die Reaktionen auf seinen musealen Schnurrbart seien überwiegend positiv und interessiert. Nur das unbewusste Zwirbeln heize ab und zu die Gemüter etwas an. Er neige nämlich dazu, beispielsweise in einem Gespräch den Schnauz anzufassen und zu zwirbeln. «Es ist halt für eine längere Unterhaltung nicht wirklich förderlich, wenn man ständig die eigene Hand vor dem Mund hat», bemerkt er und fängt an zu zwirbeln. Lang lebe der Schnauz!  


Gesichtsbehaarungstrends im Laufe der Zeit.

▶ In den Seventies erkannte man viele Schwule (nicht nur in San Francisco) auf den ersten Blick am Einheitslook: Freddie Mercury-Schnauzer, weisses T-Shirt, tief und knapp sitzende Jeans oder Lederhose, Sonnenbrille, oft verspiegelt. Ein Look, den Tom of Finland häufig abbildete. Dieser Look war so stark verbreitet und klar schwul, dass es sogar den Begriff der schwulen Klone gab (in Londons Soho gibt’s heute noch den Shop CloneZone).

▶ In den Eighties und Nineties waren viele Schwule angesichts der Aids-Krise darauf bedacht,
clean und «gesund» zu wirken. Sie entfernten jedes Härchen am Body und im Gesicht. 

▶ Die Hipster der 2000er schliesslich liessen sich wilde Bärte und Kopfhaare wachsen.

▶ Doch so richtig mainstreamig breit setzte sich bei Schwulen der Drei-Tage-Bart durch –
der ja in Wirklichkeit mindestens eine Woche wachsen muss – sauber gestutzt und getrimmt. Jedes flaumige Milchgesicht versucht mittlerweile krampfhaft, dank eines getrimmten Gesichtsteppichs männlich wie einst ein George Michael zu wirken.

▶ Heute schliesslich gibt es eine Gruppe, die sich von Bärten abwendet und den Schnauzer kultiviert, oft auch schmal getrimmt, auf keinen Fall ungepflegt im Seehund-Style.  bas