Schwul in Syrien

Danny Ramadan erzählt in «Nebelhorn-Echos» die Geschichte einer unmöglichen Liebe in einem muslimisch geprägten Land. DISPLAY sprach mit dem syrisch-kanadischen Autor über seine Flucht und die Erfahrungen im Umgang mit seiner Homosexualität in Syrien und innerhalb seiner Familie.

Von Zakaria Battikh und Christian Gersbacher

Danny Ramadan, geboren 1984 in Damaskus, ist ein syrisch-kanadischer Schriftsteller, Übersetzer und Aktivist in der Flüchtlings- und LGBTQ-Community. Nachdem er wegen seines Engagements für die Rechte der queeren Community in Syrien ins Gefängnis musste, floh er und lebt heute mit seinem Mann in Vancouver. Sein erstes Buch «Die Wäscheleinen-Schaukel» wurde 2017 sofort ein Erfolg. Seitdem hat er weitere Bücher in englischer Sprache verfasst, darunter einen Roman und Kinderbücher.

In seinem Roman «Nebelhorn-Echos» erzählt Danny Ramadan die tragische Liebesgeschichte zweier junger Männer: Es ist 2003. Die Teenager Hussam und Wassim leben in Damaskus und lieben einander. Besucht Hussam Wassim, haben sie einen geheimen Platz oben auf dem Dach. Dort kommen die beiden sich sehr nah – bis sie von Hussams Vater erwischt werden, der die 15-Jährigen wütend mit dem Tod bedroht. Die beiden wehren sich gegen den Angreifer – und Hussams Vater stürzt in den Tod.

Nach seiner Flucht landet Hussam in Vancouver bei einem älteren, wohlhabenden Schwulen. Er lebt in einer Welt von Partys, schwulem Sex und Drogen, während sein Geliebter Wassim zurückbleibt und von seinem Vater zur Ehe gezwungen wird.

Die dramatische, oftmals atemlos hektische und rauschhafte Erzählung handelt vom Kampf gegen Konventionen, ein Leben im Krieg und auf der Flucht und die Schwierigkeiten, die Schrecken der Vergangenheit zu überwinden, um glücklich und selbstbestimmt leben zu können. 

Danny Ramadans «Nebelhorn-Echos» (Original «The Foghorn-Echoes») ist beim Verlag Orlanda in der Übersetzung von Michael Ebmeyer erschienen. Der Roman ist beispielsweise bei Ex Libris für 27.50 Franken erhältlich. ISBN 978-3-949545-51-1


DISPLAY: Danny, was inspirierte dich zum Roman «Nebelhorn-Echos»? 

Danny Ramadan: Ich möchte mit dem Buch die Geschichte von queeren Geflüchteten erzählen, ihnen eine Stimme und ein Gesicht geben. Die Liebesgeschichte zweier junger Männer soll das Leid geflüchteter queerer Menschen anschaulich machen. Meine Erfahrungen als Flüchtling in verschiedenen Ländern haben mich dazu inspiriert. 

Warum ist es wichtig, über die Situation von queeren Geflüchteten zu sprechen? 

In den Medien findet eine Entmenschlichung geflüchteter Personen statt. Es wird von einer Welle oder Flut von Flüchtlingen gesprochen, so als handle es sich nicht um Menschen, sondern um eine Naturkatastrophe. Dies führt dazu, Menschen abzuwerten und zu stigmatisieren. Mit meinem Buch möchte ich dazu beitragen, eine menschliche Sicht auf das Thema Flucht zu werfen.

Wie war es für dich, dich als schwulen Mann zu akzeptieren? 

Da ich in einer Gesellschaft lebte, die queere Identität verdammt, hatte ich Selbstzweifel und musste mich mit Konflikten in meinem Zuhause auseinandersetzen. Doch mit 17 Jahren fand ich glücklicherweise eine queere Gemeinschaft in Syrien, die mir half, mich selbst besser zu verstehen und anzunehmen. Obwohl meine queere Identität vor meiner Familie verborgen bleiben musste, gab mir diese Gemeinschaft die nötige Unterstützung, um selbstbewusster zu werden. 

Was hat dich damals dazu gebracht, Syrien zu verlassen?

Ich war 2012 in Syrien im Gefängnis, weil ich mich für die Rechte der LGBTIQ*-Gemeinschaft einsetzte und meine Wohnung für die arabische queere Community öffnete. Darüberhinaus organisierte ich Treffen, Schulungen und zeigte informative Filme über die Community. Nach meiner Freilassung aus dem Gefängnis entschied ich mich, das Land zu verlassen – dies aus Angst vor erneuter Verhaftung. Ich ging nach Libanon.

Du bist später nach Kanada geflüchtet. Was war dort die grösste Herausforderung für dich?

Am Anfang ist es nicht so einfach. Du musst die Sprache lernen, einen Job finden, eine Wohnung und so weiter. Selbst in einer offenen Gesellschaft wie Kanada gibt es im Alltag für Menschen mit Migrationshintergrund einen Alltagsrassismus. Die grösste Herausforderung für mich war, eine Gemeinschaft zu finden, die mich unterstützt. Obwohl ich viele Menschen um mich hatte, fehlte ihnen oft ein tieferes Verständnis für die arabische Kultur. 

Wie siehst du die Situation queerer Menschen in Syrien? 

Man glaubt es kaum, aber es gibt in Syrien eine queere Untergrund-Community. Ich selbst war ein Teil davon. Da viele syrische LGBTQ* Personen mittlerweile im Exil leben, ist die Bewegung weniger geographisch gebunden. Unsere Aktivitäten auch ausserhalb von Syrien sind für uns wichtig. Viele Aktivist:innen haben hart gekämpft, oft unter grossem Leid.

Wie waren die Reaktionen auf die Veröffentlichung deiner Bücher zu LGBTQ*-Themen? Gab es aus der syrischen Community auch Anfeindungen? 

Queerfeindlich eingestellte Syrier:innen lesen meine Bücher kaum, daher kommen von dort auch wenig Reaktionen. Gerade zu den Kinderbüchern gab es aber von Menschen aus Kanada Anfeindungen und kritische Stimmen. Der Vorwurf lautete, dass ich Kinder mit LGBTQ* Themen beeinflussen würde. 

Du bist heute mit einem Mann verheiratet. Weiss deine Familie davon und war jemand aus deiner Familie bei der Hochzeit dabei?

Als ich 17 Jahre alt war, verliess ich mein Zuhause ohne Reaktion meiner Familie. Mein Coming-out war nicht wie im Fernsehen, wo man sich am Esstisch versammelt und sagt: «Hallo, ich bin übrigens schwul.» Es war eher eine persönliche Sache für mich.

2019 habe ich geheiratet, aber ich kenne meinen Partner Matthew seit 2016, wir sind seit acht Jahren zusammen. Die Hochzeit war wunderschön, viele Menschen, die ich heute als meine
Familie betrachte, waren anwesend, aber niemand aus meiner Herkunftsfamilie. Diese wusste zwar von meiner Hochzeit, aber ich weiss nicht, wie ihre Reaktion war, da es keinen Kontakt zwischen uns gibt. Die einzige Person aus meiner Familie, von der ich die Reaktion kenne, ist meine Schwester Noor. Leider konnte sie nicht zur Hochzeit kommen, da sie zu dieser Zeit nicht in Kanada lebte. Aber sie lebt jetzt hier. Noor und ich sind uns sehr nah und wir teilen alles miteinander. 

Glaubst du, dass deine Familie ihre Einstellung eines Tages ändern wird?

Ehrlich gesagt, es ist mir egal. Die Idee, sie davon zu überzeugen, mich zu akzeptieren, ist altmodisch und falsch. Das gäbe ihnen die Macht, über mich zu bestimmen. Für mich ist es am wichtigsten, dass meine Familie mich liebt und akzeptiert, wie ich bin. Wenn sie das nicht will, dann brauche ich sie nicht in meinem Leben.

Araber behaupten oft, dass es keine Homosexualität in der arabischen Gesellschaft gebe. Was sagst du dazu?

Viele Araber sind tatsächlich immer noch nicht davon überzeugt, dass Homosexualität in allen Gesellschaften existiert. Das ist natürlich völlig absurd. Aber wenn sie sich weiterhin etwas vormachen wollen, liegt das an ihnen.

Was braucht die arabische Gesellschaft, um Fortschritte in Bezug auf LGBTIQ+ Rechte zu machen?

Es braucht eine neue Gesellschaft (lacht). In Nordamerika gab es schon seit Jahrzehnten LGBTIQ+ Aktivist:innen, und der Weg zu unseren heutigen Rechten war ein langer, schrittweiser Prozess. Viele Aktivist:innen haben hart dafür gekämpft, oft unter grossem Leid, wie Verhaftungen und andere Formen der Repression. Doch sie haben die Tür für die nächste Generation geöffnet, die auf die Strasse gegangen ist, demonstriert hat und vor Gericht gezogen ist, um gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Ehen zu erkämpfen. Ich glaube fest daran, dass auch in unserer Gesellschaft ähnliche Fortschritte möglich sind. Ich und viele andere stehen am Anfang dieser Schritte.