Wenn Twinks langsam in die Jahre kommen

 

Jung, cute und unbehaart. Viele Männer umschwärmen Twinks wie die Motten das Licht. Was aber passiert mit einem schlanken Adonis jenseits der 40? Gibt es den ewigen Twink?

«Bei einem Twink spielt das Gesicht eine wichtige Rolle», heisst es, wenn man sich in der Szene umhört. So brauche man als Twink eine schöne und glatte Haut. Twinks hätten weiter keine oder nur eine sehr spärliche Körperbehaarung sowie einen schlanken Body. 

Die Models von Abercrombie & Fitch oder die David-Statue von Michelangelo in Florenz kämen einem Twink am nächsten. Das Lustige an solchen Gays, die in die 30er gehen, sei, dass sie nach ihrem Twink-Dasein oft ein stattliches Bierbäuchlein bekommen würden, sagt ein Zürcher Gastronom. 

Die weitere Umfrage zeigt, dass viele davon ausgehen, dass man nicht sein ganzes Leben lang ein Twink sein kann – auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen. Dieser Status sei etwas für Jungs zwischen 20 und 30. Sobald der 6-Wochen-Bart und das «Bierbüüchli» wachsen und die Gays dann aus der Twink-Kategorie fallen, würden einige anfangen, sich für Lack und Leder zu interessieren. Solche Typen hätten dann zwar immer noch ein Twink-Gesicht, aber würden sich dann oft gerne in Harness und Lederhosen präsentieren. 

Die jugendliche Ausstrahlung macht‘s

Dem Unternehmer Alf Heller fallen immer wieder Gays auf, die mal als Twink unterwegs waren, sich aber nicht weiterentwickelt haben. «Das finde ich schade und lächerlich.» Er selber mache einiges, um jung zu bleiben: «Ich möchte mich aber gleichzeitig weiterentwickeln.» Er habe Kleidungsstücke, die er nicht mehr tragen möchte oder einfach nicht mehr zu seinem Typ oder Alter passen würden. «Ich trage zum Beispiel keine Tanktops mehr auf der Strasse, und Flip-Flops gehören sowieso ausschliesslich an den Sandstrand.» Wenn es im Sommer leger sein soll, findet der Winterthurer ein Oversize-Hemd, das nur leicht zugeknöpft ist, viel stilvoller.

Ist das Twink-Sein denn einem speziellen Alter zugeordnet oder gibt es auch Typen, die mit 45 Jahren noch Twink sein können, wollen wir vom Stylisten wissen: Es sei wahrscheinlich eher ein junger Gay, auf den die Bezeichnung passe. Man könne aber auch nach 40 noch jung sein: «Die jugendliche Ausstrahlung, ein spezielles Leuchten, die Einstellung zum Leben etc. haben etwas damit zu tun.»

Älter zu werden sei nicht für jeden einfach, auch für ihn selbst sei das ein eher schwieriges Thema. «Es gibt Sachen, die funktionieren bei einem ablaufenden Twink-Status in den allermeisten Fällen überhaupt nicht, bei einem Mann zum Beispiel durchgefärbte Haare», bringt es der Star-Coiffeur auf den Punkt. Es gebe nur sehr wenige Männer, denen gefärbtes Haar wirklich stehe. «Ich würde nie meine Haare färben, ich stehe zu meinem Grau.» Trotzdem gebe es ein paar Tricks, mit denen man etwas nachhelfen könne.

«Wer im Leben stehen bleibt, hat verloren»

Obwohl sich Alf Heller eigentlich geschworen hat, sein Alter nie mehr in den Medien zu nennen, macht er für DISPLAY eine Ausnahme: Im kommenden Jahr wird der queere Promi 50 Jahre alt. Einem Gay, der mit dem langsamen Verlust seines Status hadert, hat er folgenden Tipp: «Bleib nicht

stehen im Leben, sonst hast du verloren.» Man solle sich weiterentwickeln, und zwar auch modisch. Mode komme und gehe, aber im seltensten Fall würde die Jeans, die vor zwanzig oder dreissig Jahren hip war, heute noch perfekt zu einem passen. «Das Gleiche gilt übrigens auch für die Frisur», fügt der Betreiber des Salons «Alf Heller for Hair» noch an.

Beim 1975 Geborenen gibt es heute nur noch einen Punkt, wo er persönlich irgendwie hängen geblieben ist – und zwar bei der Musik: «Ich liebe den Sound der Eigh-ties bis heute. I love it, und das jeden Tag», schmunzelt er.

Der Rubber-Twink

Simon aus Zürich Fluntern wird nicht selten als Twink gelesen. Dies ist für den 38-Jährigen jeweils ziemlich schmeichelhaft, wie er sagt. Er werde immer wieder darauf angesprochen, dass er jünger aussehe, als er wirklich sei. Und tatsächlich, wenn man ihn auf seinem Instagram-Profil @zimonzh besucht, sehen die meisten einen Twink, mit einem Faible für Rubber und BDSM. «Aber meistens fühle ich mich ein bisschen unwohl, wenn ich als Twink bezeichnet werde, da ich definitiv aus dem Twink-Alter raus bin.» Und immer mehr Typen würden ihn auch als Daddy ansprechen, sagt der Single lachend. 

Als der Physiker noch in seinen 20ern war, sprach man bei Twinks eher von Skatern, weil dieser Stil bei den Jungen zwischen 20 und 30 damals im Trend lag. «Selber habe ich mich irgendwo zwischen Twink, Nerd und Skater gesehen.» 

Bis wann das ging, kann Simon nicht genau sagen. Wahrscheinlich bis ungefähr Ende Studium. «Ich denke, der Übergang hatte bei mir auch mit dem Entdecken neuer Welten innerhalb der LGBT+-Szene zu tun», erzählt der erfolgreiche Instagrammer, der heute seinen Fetisch für Rubber, sexy Outfits und weitere Kinks lebt. 

«Man traut sich mit zunehmendem Alter auch an Orte, für die man als Twink noch zu schüchtern war, wie zum Beispiel Gay-Saunas oder Fetisch-Partys.» An diesen Orten sah er, dass das Leben nach dem Twink-Sein weiter geht und vielleicht sogar noch besser werden könnte. «Man entdeckt Rollenbilder fürs Älterwerden ausserhalb der heteronormativen Welt, denen man an den typischen Twink-Partys kaum begegnet wäre.»

Simon kennt niemanden, der den Twink-Status bis ins höhere Alter beibehalten hat, aber er hat schon Leute an Partys und bei Prides gesehen, die diesen Stil auch im vorgerückten Alter noch irgendwie pflegen. «Ich denke, das Wichtigste ist, dass jeder das Recht hat, sich so auszudrücken, wie er sich am wohlsten fühlt und dabei glücklich ist.»

Twinks, die viel Muskeln aufbauen, können – laut dem BDSM-Instagram-Creator mit 13‘300 Followern – noch eine Zeit lang als «Twunks» durchgehen; eine Mischung aus Twink und Hunk. «Irgendwann werden aber die meisten neue Identitäten oder Labels finden, die zu ihrer aktuellen Lebensphase und ihrem Äusseren passen», ist der 38-Jährige überzeugt. Sie werden dann zu Ottern, Hunks, Chubbys, Bären, Daddys, Jocks oder lassen sich gar nicht zuordnen.

Länger Twink dank Körperpflege

Ob jemand bis ins hohe Alter als Twink gelesen wird, hat neben der genetischen Alterung auch mit der Körperpflege zu tun. Bleibe ein selbstbewusster Mann über 40 schlank und unbehaart, habe er gute Chancen, auch über das Twink-Ablaufdatum hinaus den angestrebten Status zu behalten, erklärt Psychotherapeut François Gremaud: «Ältere Männer, die gut zu sich schauen und sich auch pflegen, können weiterhin androgyn und schlank bleiben.» Andere Typen hingegen, die allzu sehr im Hedonismus leben würden, könnten bereits in jüngeren Jahren an Gewicht zulegen und eine schlechte Haut entwickeln – bedingt durch Exzesse wie Sonnenbaden, Nikotin, Alkohol und Drogen. 

Vom Psychologen wollen wir wissen, ob der Verlust des Twink-Status so etwas wie eine Midlifecrisis auslösen kann. «Die Twink-Zeit endet irgendwann automatisch, weil sie mit der Jugend verlinkt ist.» Die schwule Welt präsentiere sich als jung, schlank, sportlich und schön. Ältere Männer ab 40, sowie Typen mit Bauch, Glatze oder Haaren auf dem Rücken, würden kaum in den Medien und der Werbung gezeigt. «Wenn ein Twink nur von seinem Image lebt, kann das Abhandenkommen des Twink-Status zu einer pathologischen Krise führen»; im Sinne einer Depression respektive eines Rückzugs, erklärt der Therapeut, der in Zürich und Winterthur praktiziert. 

Krampfhaftes Streben nach Jugendlichkeit

Die Suche nach der ewigen Jugend und vor allem die Bestätigung durch andere – meistens in den sozialen Medien – nehme mit dem Alter in der schwulen Welt massiv ab, «was zu einer krankhaften Suche nach einem jüngeren Aussehen führen kann». 

Funktioniert dieses Bestreben aber nicht, gerate der Twink in eine Krise, die zu einer «maladaptiven Hyperkompensation» führen könne. Was bedeutet, dass der Twink seine bisherige Identität aufgibt, ohne einen weiteren Plan zu haben. 

Sobald die Bewunderung durch andere Männer abnehme, könne dies jedoch auch zu einer positiven Auseinandersetzung mit sich selbst und einer neuen Orientierung respektive Identität führen: François Gremaud spricht hier von weniger Orientierung auf den Körper, dafür Kontakt mit Freunden der gleichen Altersklasse oder der Entdeckung von anderen kongruenten Hobbies.

«Die Hauptsache ist die Kongruenz, also das Gleichgewicht mit sich selbst im Sinne einer Verwirklichung der Grundbedürfnisse nach Lust, Autonomie, Sicherheit und Zuwendung», sagt der Psychotherapeut der Schweizer Psychologen FSP. Hauptsache, ein Twink fühle sich wohl in seiner Haut, auch noch mit 45.   


Twinks avant la lettre heute und einst

Leonardo DiCaprio

Nick Carter